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BEGEGNUNGEN MIT DER DEUTSCHEN LITERATUR

tivierten Sturm-und-Drang-Begeisterung ihrer Anfange wurde z. B. des Of¬
teren mit dem Interesse fiir die Iphigenie und den Tasso nachgewiesen.”
Ähnliche Beispiele gibt es in allen Kreisen der Kazinczy-Jünger kontinuierlich.
Dass Kazinczy sich der Grenzen der Goethe-Rezeption im Jahre 1811 wohl
bewusst war, kommt in seiner Korrespondenz deutlich zum Ausdruck: „Ich
habe bisher kaum einen Menschen getroffen, der darin [d. h., dass Goethe an
der Spitze aller Dichter steht, L. T.] mit mir einig wäre, aber Deutschland, und
hierzulande Schedius und P. Szemere halten sich dazu.“”

2.

Johann Ludwig Schedius, ungarndeutscher Professor für Ästhetik an der Pes¬
ter Universität, hielt sich aber wenige Jahre später gewiss nicht mehr dazu.
Sein Aufsatz mit dem Titel Die Wissenschaft des Schönen’! im ersten Aurora¬
Band von 1822 - an sich eine Art theoretisches Programm der angehenden
ungarischen Romantiker”? — summierte bereits ausschließlich Schillers An¬
sichten aus den neunziger Jahren und überhaupt keine von Goethe.”? Auch
Gedichte waren in diesem „Prolog“ der ungarischen Romantik ihrem Gehalt
nach eindeutig den Schiller’schen Ideen verpflichtet,”* und József Bajza, füh¬
render Theoretiker der romantischen Trias” informierte den Freund Toldy
wenige Jahre später, dass für seine theoretische Bildung die eingehenden Kennt¬
nisse der ästhetischen Briefe von Schiller unentbehrlich gewesen seien, mit
den folgenden Worten:

Ich konnte nach zweimaligem Durcharbeiten der Abhandlung Schillers Über die
ästhetische Erziehung des Menschen noch nicht bis zu deren Tiefe gelangen. Und
doch hätte ich es mir gewünscht, denn darin sind wie in irgendeiner Vorratskam¬

mer sämtliche ästhetischen, politischen und lebensphilosophischen Prinzipien

§9 Bajza Józsefés Toldy Ferenc levelezese [Briefwechsel v. Bajza, Jözsef u. Toldy, Ferenc], Nr. 127.
S. 207.

7° Mit männlich-jovialer und ironischer Geste setzte er noch Folgendes hinzu: „Unsere ‚Weibchen‘

[sic!] mögen Schiller und nicht Goethe, weil sie das Gigantische und nicht das wahre Schöne

zu schätzen wissen.“ Kazinczy, Ferenc an den Grafen Jözsef Dessewffy, Szephalom, den 17.

Januar 1811. In: Kazinczy, Ferenc: Levelezese [Briefwechsel]. Bd. 8, Budapest: MTA, 1898, Nr.

1912, S. 280. (Hervorhebungen L. T.).

Johann Ludwig Schedius: A Szepseg Tudomänya [Die Wissenschaft des Schönen]. In: Aurora.

Bd. 1, 1822, S. 313-320.

Ähnlicher Weise setzt die deutsche Literaturgeschichtsschreibung den Anfang der deutschen

Romantik mit der Herausgabe des ersten Athenäum-Heftes von 1798 fest.

Den Nachweis unmittelbarer Beziehungen dieser Studie zu Schillers Briefen „Über die ästhe¬

tische Erziehung des Menschen“ siehe in Tarnöi, Läszlö: „... er war [auch] unser“, S. 212.

Siehe darin u. a. Gedichte v. Janos Kis und Aloyz Primöczi Szent-Miklösy.

Mihäly Vörösmarty (1800-1855), Jözsef Bajza (1804-1858) und Ferenc Toldy [ursprünglich

Franz Schedel] (1805-1875).

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