Die glücklichen Anfánge dieser vielseitigen Erziehung und Bildung wurden in
Budapest unter besonders vorteilhaften Umstánden vollendet. Mit klar um¬
rissenen Vorstellungen nahm er seine Studien auf. Er belegte an der Univer¬
sitát die Fácher Ungarisch, Deutsch und Französisch. Robert Gragger, ein
echter Günstling des Schicksals, erhielt dabei das Bestmögliche, was einem
Studenten auf den Gebieten seines zielstrebig bestimmten Interessenkreises
in jener Zeit und im damaligen Ungarn geboten werden konnte. Und das will
schon etwas heißen: wenigstens in den Fachbereichen, in denen Gragger sich
zu entfalten die Absicht hatte, bedeutete das auch nach internationalen Ma߬
stäben Weltniveau.
Gragger war von Anfang an Mitglied des berühmten Eötvös-Kollegiums,
einer damals hervorragenden Institution, die ein Jahrzehnt zuvor nach dem
Muster der Ecole Normale Superieur in Paris für die wissenschaftlich fundier¬
te Ausbildung von Studenten gegründet worden war. Das Kollegium - in
seiner klassischen Periode von dem vielseitig gebildeten G&za Bartoniek ge¬
leitet —, europaoffen und vom französischen Esprit durchdrungen, bot den
günstigsten Rahmen für das Studium anspruchsvoller junger Menschen.
In Budapest lernte Robert Gragger außerdem in seinen Lehrern eine ganze
Reihe von Vertretern der verschiedensten Forschungstendenzen und Charak¬
tere kennen, die nach der Jahrhundertwende in ihrem Fach, bei allen Abwei¬
chungen in ihren Forschungsmethoden und im jeweiligen individuellen Format,
zur europäischen Spitzenklasse gehörten. Er hörte an der Universität z. B.
deutsche Literatur bei Gusztäv Heinrich, dem „Nestor und Vater der ungari¬
schen Germanistik“,!? der gleichzeitig einer der hervorragendsten Repräsen¬
tanten des Positivismus war. Einen gleichfalls großen Eindruck machte Frigyes
Riedl auf ihn, ein Wegbereiter der modernen Literaturwissenschaft der Vor¬
kriegszeit, der stets bemüht war, durch die analytische Untersuchung der
psychologischen sowie gesellschafts- und kulturhistorischen Zusammenhän¬
ge in den belletristischen Werken und durch die Erschließung der weltlitera¬
rischen und komparatistischen Beziehungen der ungarischen Literatur eigen¬
ständige und neue Forschungsziele und Methoden zu entwickeln. Heinrichs
und Riedls Wirkung ist im ganzen wissenschaftlichen CEuvre Graggers nach¬
zuweisen. So unterschiedlich sie in ihren Veranlagungen, Ansichten und
Methoden auch waren, sie hinterließen beide, als Lehrer und geistige Väter,
gleichermaßen unverkennbare Spuren in Graggers Persönlichkeit sowie in
seiner wissenschaftlichen und wissenschaftspädagogischen Tätigkeit.