OCR Output

VII. DEUTSCHSPRACHIGE SCHAUSPIELKUNST UND DRAMATIK IM ALTEN PEST-OFEN

dramatisches Feenmärchen von Karl Friedrich Hensler, das gleichzeitig im
Weimarer Theater (damals unter der Leitung von Goethe) einen ahnlichen
Erfolg wie in Ungarn verbuchen konnte.

Der ungarndeutsche Karl Maria Kertbeny (urspriinglich Benkert) schrieb
1881 rückblickend auf die Geschichte des deutschen Theaterlebens in Ofen
und Pest, dass „unsere deutsche Bühne aus dem bloßen Bedürfnisse nach
Amusement hervorging, und sich in 111 Jahren kaum stellenweise zu höheren
Bestrebungen erhob.“ ?” Aber welches "Theater, welches Ensemble ist wohl
in der Lage dem Publikum gegenüber auf Zugeständnisse in die Richtung
der Unterhaltung zu verzichten? — könnten wir mit dem „Iheaterdirektor“
und der „lustigen Person“ aus dem „Vorspiel auf dem Theater“ in Goethes
Faust fragen.** Andererseits dürfte auch mit unserem Milán Füst gefragt
werden, ob man der Kunst mit dem Verzicht auf ihre gewiss unerlässlichen
Unterhaltungsfunktionen einen Dienst erweisen könne. Diese rhetorischen
Fragen wussten auch die jeweiligen Direktoren und Schauspieler des alten
deutschen Theaters um 1800 genau zu beantworten, indem sie - im Gegensatz
zu dem etwas zu spät ausgefallenen „Augenzeugenbericht“ des Karl Maria
Kertbeny* — Bildung und Unterhaltung ganz konsequent zu verbinden
beabsichtigten.

Zur Zeit der Anfänge des neuzeitlichen Theaterlebens im Königreich hatte
noch in manchen theoretischen Stellungnahmen der aufgeklärte Erziehungs¬
wille die Dominanz, so z. B. in einem Preßburger „Vorspiel“ von 1787, als
die personifizierte Schauspielkunst mit den folgenden Worten den Sinn ihrer
Wirkung zu erläutern versuchte:

Wir suchen in einer Handlung die Laster, wie sie unter den Menschen gehn, den
Augen der Zuschauer abscheulich und verächtlich darzustellen, suchen sie zu
warnen vor falschen Freunden, vor den Lockungen der Buhlerinnen, vor den übeln
Folgen der zügellosen Leidenschaften. Stellen die Thorheiten der Menschen so
vor, daß sich mancher hütet in ähnliche zu fallen, zeigen den Lohn der Tugend,
der Freundschaft, der Treue, rühren dadurch die Herzen, und beschäftigen den
Verstand bald mehr, bald weniger.°®

47

Kertbeny, Karl Maria: Zur Theatergeschichte von Budapest. In: Ungarische Revue. Bd. 1,
Leipzig / Berlin / Wien: 1881, S. 636.

Sogar der anspruchsvolle Jözsef Bajza, Direktor des 1837 eröffneten Pester Ungarischen
Theaters war diesbezüglich zu manchen Kompromissen gezwungen.

Kertbeny (1824-1882) erlebte nur die letzte, (nach der Eröffnung des ungarischen Theaters)
bereits weniger bedeutende Zeit des Pester Deutschen Theaters.

[- -]: Ein Vorspiel am Neujahrstage. In: Ein Bändchen Theaterstückchen zu betrachten als
Zugabe zu den Hauptsücken der Ostermesse 1787. Preßburg: bey Philip Ulrich Mahler, 1787,
S.152.

48

49

+ 170 +