OCR Output

VII. DEUTSCHSPRACHIGE SCHAUSPIELKUNST UND DRAMATIK IM ALTEN PEST-OFEN

Preßburger Zeitung hieß, „zum Vortheil der guten Sitten“ „nützlich verändert
hatte“.?® Die kulturhistorische Bedeutung der Aufführung dieses Trauerspiels
im Königreich dokumentieren auch die anerkennenden Worte des Verfassers:

In unsern gleißnerischen Tagen |[...] hätt ich’s niemals erwartet, daß meine
Kindermörderin irgendwo auf die Bühne würde gebracht werden; und dennoch
geschah es! der Wahrischen Gesellschaft gelang es in Preßburg ein Publikum zu
finden, vor dem sie eine Vorstellung derselben mit einigen wenigen unbedeutenden
[...] bei der Aufführung notwendigen Veränderungen wagen durfte.°?

Auch Lessings Nathan der Weise wurde unmittelbar nach der misslungenen
Uraufführung in Berlin bereits von den mittachtziger Jahren in Preßburg,
Ofen und Pest gespielt - in diesen 'Iheatern des Königreichs sogar mehr als
dreißig Jahre vor seiner Erstaufführung im Wiener Burgtheater.”

Von den ausgehenden siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts verlagerten
sich die hauptstädtischen Funktionen der Landesverwaltung und die der
kulturellen Zentrenbildung immer deutlicher von Preßburg in die urbane
Region von Pestund Ofen.*!Freilichnahmhier die Bedeutung des Theaterlebens
schon wegen des wesentlich größeren Publikums in erheblichem Maße
zu. Das deutschsprachige 'Iheaterangebot sorgte somit vom ausgehenden
Josephinischen Jahrzehnt neben den übrigen Städten des Königreichs vor
allem in Pest-Ofen dafür, dass das Erlebnis der klassischen Dramatiker
Deutschlands und Westeuropas auf der Bühne für die Ungarn kontinuierlich
und so gut wie gleichzeitig mit ihren Zeitgenossen im deutschen Sprachraum
zugänglich wurden. Vor allem den deutschen Theatern des Königreichs ist
es also zu verdanken, dass vom angenommenen kulturhistorischen Nachtrab
der Ungarn hinter Westeuropa (etwa im Sinne der Nadlerschen These vom
West-Ost-Gefälle der Kulturprozesse in Europa) in dieser Hinsicht gewiss
keine Rede sein kann.

Höchst beachtenswert ist auch, wie die vermittelten kulturellen Wert¬
vorstellungen dem regen deutschsprachigen Theaterbetrieb zufolge im
Lande immer deutlicher Fuß zu fassen begannen. Dabei geht es nicht
nur um Zitate, Berufungen, geflügelte Worte in Briefen, Tagebüchern,
Gedichten oder um dramaturgische Textexperimente. Mit den vielen und

38 Siehe in Preßburger Zeitung, 62. Stück, vom 2. 8. 1777; vgl. auch Benyovszky, Das alte
Theater, S. 49, 124.

3° Wagners Worte zitiert aus Stürmer und Dränger. Zweiter Teil. Lenz und Wagner. Hg. v.
A. Sauer. Berlin und Stuttgart: Verlag v. W. Spemann, o. J., S. 280 f. (= Deutsche National¬
Litteratur. Historisch-kritische Ausgabe, hg. v. Joseph Kürschner, Bd. 80/II.)

10 Kádár, Jolán: A budai és pesti német színészet története 1812-ig [Die Geschichte des
deutschen Schauspiels in Ofen und Pest bis 1812]. Budapest: Pfeiffer Ferdinánd, 1914, S. 45.
(= Arbeiten zur deutschen Philologie — Német philologiai dolgozatok, XII)

"s Siehe dazu ausführlicher Kap. 11/3.

«168 +