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CORONA-MASSNAHMEN

von der Pandemie zu vermeiden — und nach dem Bundes-Infektionsschutzgesetz
(I£SG) die Gefahr zu definieren und welche Rechtsgüter sind gefährdet und
müssen geschützt werden. Die potentiell berührten Rechtsgüter sind Leben
und Gesundheit der Gesellschaftsmitglieder sowie die Funktionsfähigkeit des
Gesundheitssystems. Wie steht es aber mit der Gefahr? Der Bundestag hat gem. § 5
Abs. 1S. 1 IfSG eine epidemische Lage von nationaler Tragweite festgestellt. Ist für
das Vorliegen einer Gefahr die schiere Existenz einer Epidemie unabhängig von
einer abstrakten oder konkreten Ansteckungswahrscheinlichkeit hinreichend? Im
System des klassischen Gefahrenabwehrrechts wäre das sehr ungewöhnlich: Die
Gefahr muß grundsätzlich in der Situation, in der ein Verhalten beschränkt oder
verboten werden soll, abstrakt oder konkret gegeben sein.

Ansteckungsgefahr ist nach den von der Politik und den Virologen/
Epidemiologen formulierten Gefahrparametern gegeben, wenn sich Personen
räumlich vor allem in geschlossenen Räumen, aber grundsätzlich auch im Freien
auf weniger als zwei Meter nahekommen. § 28 IfSG lautet in seinem für die Gefahr
relevanten Teil folgendermafen:

(1) Werden Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider

festgestellt oder ergibt sich, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder
Ausscheider war, so trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnah¬
men, insbesondere die in $ 28a Absatz 1 und in den $$ 29 bis 31 genannten, soweit
und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erfor¬
derlich ist.

Die Norm ist von ihren Voraussetzungen her relativ klar und entspricht dem
sonstigen Gefahrenabwehrrecht: Soweit und solange es erforderlich ist,
kann die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen treffen.
Dies legt nahe, daß es sich zumindest um eine abstrakte Gefahr handeln
muß. Da die Gefahrenfeststellung durch die Identifizierung von Kranken,
Krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen oder Ausscheidern — den
Verursachern der Gefahr - geschieht, sind die notwendigen Schutzmaßnahmen
an diesen „Gefahrenherd“ zu koppeln und soweit und solange wie erforderlich
zu treffen. Darüber hinaus ist nach dem IfSG auch die Inanspruchnahme des
Nichtstörers, also des Nichtverursachers der Gefahr, allerdings wohl nur
nachrangig*, möglich. Zu gefahrenthobenen Gefahrenabwehrmaßnahmen $ 28
IfSG ermächtigt nicht.

* OVG Hamburg, Beschluß v. 18.11.2020 - 5 Bs 209/20, BeckRS 2020, 34.449, Rz. 24: „Störer“,
also die Personengruppen des $28 Abs. 15.1 IfSG, seien vorrangig in Anspruch zu nehmen;
ebenso VGH Kassel Beschluß v. 8.4.2020 — 8 B 910/20, BeckRS 2020, 5627, Rz. 52.

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