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WEGE

u. 2. Strophe), anschlie$end miteinander kreuzweise verflochten weiterliefen,
(3. Strophe), hoben sie sich in den letzten drei — genau wie einst im Sturmlied
— kaum mehr voneinander ab.

Auf diese Weise öffneten sich für die jeweiligen Adressaten vielerlei Inter¬
pretationsmöglichkeiten. Diese sind im Sinne unserer Tagung ebenfalls Wege,
die vom kommunikativen Absender zu seinen Adressaten im 21. Jahrhundert
führen, d. h. von Goethe zu uns. Die bescheiden leise artikulierte Frage hierzu
lautet: Zu wie vielen unter uns eigentlich heute noch?

Ich zitiere hier vom Ausklang des Gedichtes die 5. Strophe (Fassung 1789)
und die Originalfassung der letzten, der 7. Strophe:

Bez. auf
[5] Ab denn, rascher hinab! W.1 u. 2°
Sieh die Sonne sinkt! W. 1 (2)
Eh sie sinkt, / eh mich Greisen W. 1 (2) / W.2
Ergreift im Moore Nebelduft, W.2u.1
Entzahnte Kiefer schnattern W.1+27/2
Und das schlotternde Gebein. W. 2
[...]
[7] Töne Schwager, ins Horn; W.1u.2
Rassle den schallenden Trab, W. 1
Dass der Orkus vernehme: Ein Fiirst kommt, W. 2
Drunten von ihren Sitzen W. 2 (1)
Sich die Gewaltigen liiften. (Originalfassung) W. 2 (1)

*

Schon der Besuch von Klopstock in Frankfurt mochte unmittelbar vor der
Entstehung dieses Gedichts bestatigt haben, dass auf dem bislang geleisteten
Wege bis Ende 1774 das Höchstmögliche bereits erreicht war. Umso mehr
konnte Goethe das 13 Monate später empfinden. Als Dichtergenie war er ja
nach Weimar eingeladen und als solches war er dort nach seiner Ankunft „von
allen prafen Jungen bis zur Schwermerey geliebt.“* Der neue Weg, den er nach
Weimar und ab dem 7. 11. 1775 in Weimar eingeschlagen hat, versprach ihm

6 Zeichenerklärung: W. = Weg; W.1 = erlebte Bild(er) wahrend der in der Postkutsche zurück¬
gelegten Strecke zwischen Darmstadt und Frankfurt; W.2 = erdachte Bild(er) der Lebensfahrt;
(1), (2) = Jeweiliges (d. h. Kutschenfahrt bzw. Lebensfahrt) „halbwegs“ miterlebt; Schrägstrich /
trennt Teile der Verse voneinander.

” Siehe dazu meine Überlegungen im Abschnitt „Textvergleich 3“ des Kapitels „Goethes »An
Schwager Kronos« ...“ und ebenda die Anmerkung Nr. 53.

® Worte aus dem Brief des Kammerherrn Karl Ludwig von Knebel (1744-1834) nach Goethes
Ankunft in Weimar am 7. 11. 1775 an Goethes Eltern.

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