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WEGE

Da erscheint plötzlich ein Bauer, der im Gegensatz zum Dichter auf seinem
Weg, dem dritten in der Hymne, gänzlich unbeeindruckt vom Sturm und
Hagel, unbeirrt fortschreitet. Nur die Strecke war also die gleiche wie die von
Goethe, aber nicht der Weg, der Gang, die Art und Weise der grundverschie¬
denen Bewegungen in Raum und Zeit. Der sich an die Götter messende, ja
„göttergleich“ gebärdende Goethe spannt sich an, um sich über den Schlamm¬
pfad der stürmischen Natur und des Lebens zu erheben. Den Bauern scheint
dagegen in seinem Alkoholrausch außer den Gaben des Vaters Bromius, d.h.
des Weingottes Dionysos um ihn her gar nichts anzugehen — weder in der
geistigen noch in der materiellen Welt. Sein Weg markiert den der typischen
— jeweils mit grotesken Zügen gezeichneten — unproduktiven Gegenfiguren
der schöpferischen Geniehelden jener Jahre.” Viertens wird aber ins Gedicht
sogar die entschiedene Ablehnung mancher bereits für überholt empfundenen
literarischen Wege der deutschen Aufklärung? eingeblendet.

In den letzten Partien folgen erst Verse leidenschaftlicher Hochstimmung
— endlich der Ausdruck letzter Kraftanwendung vor dem ersehnten Ziel in
gebrochenen Sätzen und Ausrufen:

Wenn die Räder rasselten,

Rad an Rad rasch ums Ziel weg,
Hoch flog

Siegdurchglühter

Jünglinge Peitschenknall,

Und sich Staub wälzt’,

Wie vom Gebirg’ herab
Kieselwetter ins Tal,

Glühte deine Seel’ Gefahren, Pindar,
Muth. — Gliihte? —

Armes Herz!

Dort auf dem Hügel,
Himmlische Macht!

Nur so viel Gluth,

Dort meine Hütte,

Dorthin zu waten!

? Man denke an dieser Stelle bloß an die mit manchen grotesken Zügen den jeweiligen „Genies“
entgegengesetzten Gestalten, so u.a.an Weislingen im „Götz“-Drama, an Albert im „Werther“¬
Roman, an die Taube in der lyrischen Allegorie (Adler und Taube), an den Studiosus Wagner
im „Urfaust“ oder als Symbolfigur aller unproduktiven „Antigenies“ dieser literarischen Be¬
wegung, an Lenz’ „Hofmeister,“ an Läuffer, den Mann, der sich kastriert, und anschließend
die liebenswürdig naive Lise heiratet. Grotesker kann man das Unproduktive kaum vor Augen
führen.

Die um die Mitte des 18. Jahrhunderts modischen „Wege“ des deutschen Rokokos mit dessen
Vorbildfiguren Anakreon und Theokrit.

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