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BEGEGNUNGEN MIT DER DEUTSCHEN LITERATUR

verabschiedenden Ferenc Kölcsey" etikettieren: ,,Unsere Devise hieß Vaterland
und Fortschritt.“ *° Hat ja Csokonai" bereits 1793 und 1795, als er sich seinen
aufgeklárten Ansichten entsprechend für die Fortschritte der ganzen Mensch¬
heit begeisterte, die Nation mit den Worten , Ungar! Die Morgenstunde bricht
an!" angesprochen, so verpflichteten sich alle unseren Dichter sechs Jahr¬
zehnte hindurch bis einschlieflich Sándor Petőfi" mit einer imponierenden
simultanen Denkweise gleichzeitig der Aufklárung und den nationalen Inte¬
ressen des Landes. Dass dabei die deutschsprachigen Ungarn, deren Bedeutung
bis um 1820 außerordentlich groß war, keinerlei Ausnahme machten, bewies
nicht nur Johann Ludwig Schedius (1768-1847) in seinen theoretischen Ab¬
handlungen, in denen er sich „für die wissenschaftliche Cultur unsers Vater¬
landes“ einsetzte®® und nach dem „der sein Vaterland liebt“, „die angenehms¬
te Pflicht“ sein musste, „das Fortschreiten der Wissenschaften und die
Aufnahme der Wahrheit“ zu befördern,” sondern auch die Lyrik des Carl
Anton von Gruber (1760-1840)* oder Worte, wie sie Samuel Bredetzky (1772¬
1812) 1802 niederschrieb°' und dabei einen an Ferenc Kölcseys Worte in seinem
Vermächtnis von 1837 an den Neffen?” erinnert.

5.

Allerdings war das Angebot, das von deutscher Seite um 1800 (im so genann¬
ten „großen Jahrzehnt“) der rezeptionsoffenen Nachfrage in Ungarn zuström¬
te, um das Vielfache größer als dies später im germanistischen Kanon für jene
Zeit festgehalten wurde. Es umfasste ja (außer der später literaturhistorisch
repräsentativ gewordenen Literatur) auch poetische Werke, wie man ihnen in
den Almanachen, den vielen Modeblättern der „eleganten Welt“, in den

4 Kölcsey, Ferenc (1790-1838): Dichter des 1823 geschriebenen und seither unveränderten
Textes der ungarischen Nationalhymne. Ins Deutsche übers. v. Annemarie Bostroem. In:
Ungarische Dichtung aus fünf Jahrhunderten. Budapest / Berlin: Corvina-Verlag u. Aufbau¬
Verlag, 1970, S. 48-50.

Siehe dazu Schnittpunkte, Bd. 1, Kap. IV/4, S. 104-105, besonders Anm. Nr. 24.

Csokonai Vitez, Mihäly (1773-1805)

Petőfi, Sándor (1823-1849)

Schedius, Johann Ludwig: Vorbericht. In: Literärischer Anzeiger. [Wöchentliche] Beylage zu
Nr. 1. [des Neuen Couriers oder] der Pester [PosAmts-]Zeitung. Hg. v. J. L. Sch. Redigiert v.
Andreas Friedrich Halitzky. Pest: Matthias Trattner 1798, Nr. 1, S. 9. Siehe auch Deutsch¬
sprachige Texte aus Ungarn, Bd. 3, S. 20.

Ebd., S.9 f. Siehe auch Deutschsprachige Texte aus Ungarn, Bd. 3, S. 21 £.

Siehe Schnittpunkte, Bd. 1, Kap. IIV/1, IIV/3 u. IV, S. 56-58, 64-71 u. 95-113; Deutschspra¬
chige Texte aus Ungarn, Bd. 1, S. 117-146.

„Eine gebildete Seele muß die ganze Welt, vorzüglich aber das Vaterland interessiren. Dieses
Interesse erzeugt Anhänglichkeit und Liebe, welche die Mutter des schönen Patriotismus ist,
einer Tugend, die unsern Verstand und unser Herz veredelt, und die sich schlechterdings nicht
mit Egoismus, diesem Zerstöhrer des allgemeinen Wohls, verträgt.“ In: Bredetzky, Sanuel:
Vorrede. In: Topographisches Taschenbuch für Ungern. [1. Aufl.] Ödenburg: Anton Sieß, 1802.
Siehe auch Deutschsprachige Texte aus Ungarn, Bd. 3, S. 87; Schnittpunkte, Bd. 1, S. 30.

5? Parainesis Kölcsey Kälmänhoz [Mahnworte an Kälmän Kölcsey].

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