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LÁSZLÓ TARNÓI: SCHNITTPUNKTE. STUDIEN ZUR GERMANISTIK UND HUNGAROLOGIE

in die unteilbare Ganzheit des Gedichtes zu verdanken: Im Gewaltmarsch der
Gedemütigten, in völliger Erschöpfung dem Tode bereits ergeben, schimmern
allmáhlich durch die Gegenwart belastete Erinnerungsbilder und durch die ge¬
ahnten Kriegszerstörungen unsicher gewordene Konturen des Zuhause Stufe für
Stufe bis zu den folgenden Versen der Gedichtmitte immer schärfer durch:

Könnt ich doch glauben: Nicht nur im Herz blieb unversehrt
das Heim, die Heimat, alles was uns im Leben wert,

und man zurückkehrn könnte und sitzen hinterm Haus,
friedlich die Bienen summen das Pflaumenmus kühlt aus,
Altweibersommer sonnt sich, ein Ast im Garten knackt,
und Fanni steht und wartet blond vorm Rotdornenhag,

und langsam Schatten schreibt der langsame Vormittag —

Am Rande des „Grabens“ des Todes (Gedichtanfang) wurde hier der Frieden
über die Möglichkeit des unsicheren „könnte“ (zweimal) erst durch die Frie¬
densvision mit den Worten „friedlich die Bienen summen“ vergegenwärtigt
— in der Fihmann’schen Nachdichtung besonders deutlich — und als eine noch
einmal erlebte, Leben und Welt umspannende Realität dem Grauen höchsten
Ausmaßes authentisch entgegengesetzt. Man empfindet es nach, man erlebt
es auch ohne die Kenntnis des Lebens des Dichters, es gelingt nun ein letztes
Mal, aus der visionären Friedensrealität des Gedichtes der Ergebung der Ge¬
walt Nein zu sagen und wie früher immer, nun noch einmal leise Hoffnungen
auf Zukunft und Selbsterhaltung aufgehen zu lassen:

Vielleicht kann’s doch so werden der Mond strahlt brüderlich
Freund, bleib doch stehen, ruf mich an: ich erhebe mich!

Es gibt im Gedicht auch kein Wort mehr vom Frieden als „friedlich die Bienen
summen“, dem eine Reihe Friedensmetaphern folgen, Bilder der Ruhe, des
Friedens der Natur, der Geborgenheit des Zuhause, bis zur friedlichen Ge¬
löstheit durch das Erscheinenlassen der Geliebten. Und doch übertrifft diese
Friedensmetaphorik an Aussagekräftigkeit selbst das hell leuchtende feierliche
Friedensbild des schwungvollen Hymnus auf den Frieden!' aus dem Jahre 1937,
obwohl der Dichter auch hier schon mit der nur ihm eigenen Zurückhaltung
— z. B. mittels fein gewebter Natursymbole - die Bilder des Krieges und der
Friedenssehnsucht aufeinanderprallen ließ. Doch war hier alles noch wesent¬
lich allgemeiner gestaltet. Krieg und Gewalt waren damals noch nicht persön¬
liches Erlebnis wie sieben Jahre später, in der Zeit des Gewaltmarsches. Der
Krieg war vorerst noch Zeitungsnachricht, trotz aller erschütternden

1 Ebd., S. 35.

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