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DIE ERIEDENSBOTSCHAET
DES MIKLÖS RADNÖTI - DEUTSCH!

Miklós Radnóti war einer von Millionen, die kurz vor Kriegsende dem Rassen¬
und Menschenverfolgungswahn zum Opfer fielen. Gewiss war er auch nur
einer von vielen der Verfolgten und Gedemiitigten, die schon von der Mitte
der dreißiger Jahre an genau wussten, dass der Welt eine apokalyptische Zeit
drohte, in der die Menschheit in Mörder und Opfer geteilt würde. Er war einer,
der dies jedoch über ein Jahrzehnt lang wie kein anderer mit prophetischen
Dichterworten niederzuschreiben wusste, „einer“ — so verkündete er z. B. 1939
— „der nie getötet hat und den man darum umbringen wird“? — und der trotz
der grauenhaften Last dieses Wissens seine Hoffnung aufeine menschenwür¬
dige Zukunft, seinen Glauben an die Humanität, an das Gute im Menschen
sowie sein moralisches Engagement für eine friedliche Welt stets zu bewahren
verstand und damit seinen Geist und seine Persönlichkeit den Henkern nie
preisgab.

Radnöti vertrat sein sittlich-harmonisches Humanitätsideal, das von nahe¬
zu klassischer Zeitlosigkeit geprägt war, trotz Verfolgung, Diskriminierung
und ständiger Bedrohung seiner Existenz und vermochte es in seiner Lyrik
unverkennbar, wie außer ihm niemand von seinen ungarischen und europäi¬
schen Schicksalsgenossen, auszudrücken:

O Dichter, lebe du jetzt rein

so wie Bergbauern im Gestein

der Alpen, und so unschuldsvoll
wie auf den Heil’genbildchen wohl

die kleinen Jesusknäbelein.?

Dieses Bekenntnis zum Humanen hat bei Radnöti nichts mit irgendeinem
idyllischen Rückzug oder gar mit scheuer Flucht vor der düsteren Wirklichkeit
— mit einem Wort mit deren subjektivistischer Negation gemein. Der Kontext
dieser Verse gibt den Lesern genügend Aufschluss darüber, dass diese aufs
Äußerste entstellte Welt aus dem Radnöti-Gedicht nicht auszuklammern ist.

! Der Essay ist in der vorliegenden Fassung als einer der Beiträge des schließlich unvollendet
gebliebenen Projekts zur literarischen Friedensforschung an der Humboldt-Universität zu
Berlin im Studienjahr 1988/89 entstanden. Er erschien in: Berliner Beiträge zur Hungarologie,
Berlin / Budapest: 1990. Bd. 5, S. 7-41.

? Radnóti, Miklós: Auf ein Exemplar des , Steilen Weges" [A , Meredek út" egyik peldänyära]. In:
Radnóti, Miklós: Ansichtskarten. Übs. v. Franz Fühmann. Berlin: Verlag Volk und Welt, 1967,
S. 42.

3 Radnóti, Miklós: Lauf nur ... [Járkálj csak, halálraítélt!]. In: Ansichtskarten, S. 32.

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