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LÁSZLÓ TARNÓI: SCHNITTPUNKTE. STUDIEN ZUR GERMANISTIK UND HUNGAROLOGIE

Beachtenswert sind die Übersetzungen, in denen dieser oder jener Verzicht
im gleichen (oder unter Umständen in einem anderen) Vers der Tóthschen
Metaphorik entsprechend kompensiert wird. Ich denke dabei an Stellen in den
Nachdichtungen von Brigitte Struzyck, wie z. B. „da fingert sich ein Lied im
Eck“ in Tauber Stunde" oder im Gedicht In einem kleinen Lokal „Der Vorzeit

schwarze Rosen an der Wand“, „Mädchen deren Herzen frieren“'° usw.

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Im Frühjahr 1919 entstand Der neue Gott (deutsch von Günter Kunert). Das re¬
volutionäre Gedicht des nicht revolutionären Dichters stützte sich in vieler Hin¬
sicht auf Motive der Ady’schen Tradition. Doch die für den Dichter typische
Anlehnungsfähigkeit für fremde Strukturen überwand er auch diesmal mit der
nur ihm eigenen poetischen Sprache, mit den impressionistischen Farbkontras¬
ten, dem Clair-obscur seiner Bilder mit ihrer typischen Töth’schen adjektivi¬
schen Ladung (Wörtern wie „rätselhaft“, „trostlos“, ,verzagt“ usw.). Auch der
damals angehende junge Tibor Déry — mit Arpad Toth eng befreundet - soll bei
der Entstehung dieses Gedichtes laut seiner Erinnerungen Pate gestanden haben:

Sein einziges Gedicht mit offener politischer Stellungnahme, Der neue Gott, das
er auf mein Bitten und Drängen während der Kommune schrieb — morgens am
Fenster sitzend, den Paletot übers Nachthemd gezogen, das Blatt auf den Knien -,
war eine Widerspiegelung dieses ureigensten inneren Wesenszuges: so instinktiv
und naiv, wie sein Autor enthusiastisch, aber uninformiert war [...]”

Es ist merkwürdig, dass Ärpäd Töth gerade wegen dieses Gedichts von der
revolutionären Kritik scharf attakiert wurde. Unter dem Titel Achtung erschien
zwei Wochen nach seiner Veröffentlichung ein Artikel, in dem es u. a. heißt:

Wir dürfen nicht zulassen, dass Schriftsteller, die früher eine Ode an den jungen
Caesar” geschrieben haben, sich nun das Recht nehmen, mit Oden an einen „Ro¬
ten Gott“?! oder anderen phrasenhaften Oden eine neue Akademie aufzumachen.

Wir haben allen Grund, dass uns das unernste Spiel [...] der Dichter anwidert.””

16 Ebd., S. 2, Vers 6.

7 Ebd., S.1. Vers 5.

18 Ebd., Vers 19.

1° Dery, Tibor: Ítélet nincs. [Ins Deutsche iibersetzt von Hans Skirecki unter dem Titel ,,Kein
Urteil“]. Budapest: 1968, S. 130. (Hervorhebungen L. T.)

Betrifft Ärpäd Töths „Ode“ an den jungen ungarischen König Karl IV. nach seiner Krönung
im Jahre 1916.

Betrifft das Gedicht Der neue Gott. In: Töth, Abendlicher Strahlenkranz, S. 36-38. Übers. v.
Günter Kunert.

Zit. nach Kovalovszky, Miklós: Tóth Árpád: Az új isten (Verstörténet és verselemzés) [Árpád
Tóth: Der neue Gott (Geschichte und Analyse des Gedichtes)]: A nyelvtudomány a haladásért.
Nyelvtudományi Értekezések, Jg. 65 (1969). S. 134-158, hier S. 143.

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