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LÁSZLÓ TARNÓI: SCHNITTPUNKTE. STUDIEN ZUR GERMANISTIK UND HUNGAROLOGIE

Die Sprache der Gragger-Werke

Die korrelativen Beziehungen zwischen Persönlichkeit und Sprache sind all¬
gemein bekannt. Gewiss hängt mit diesem natürlichen Verhältnis Graggers
zur Wissenschaft auch die lebendige Frische seines sprachlichen Ausdrucks
auf das Engste zusammen, von der in den vergangenen sieben bis acht Jahr¬
zehnten kaum etwas verblichen ist. Unleugbar trägt heute noch seine Unge¬
zwungenheit zur einmaligen Anziehungs- und Wirkungskraft der Grag¬
ger’schen Arbeiten bei.

Nichts terminologisch Verschlüsseltes, stilistisch Gekünsteltes und syn¬
taktisch kaum Überschaubares belastete Graggers Schriften - im Gegensatz
zu vielen anderen wissenschaftlichen Arbeiten in Vergangenheit und Gegen¬
wart. Die Wissenschaft war seine persönlichste Angelegenheit, Leben und
Wissenschaft waren für Gragger keine voneinander getrennten Begriffe. Er
widmete den größten Teil seines Lebens dem Studium und der Forschung,
offenbar jedoch ohne dies auch nur im Geringsten als Opfer bzw. Leistungs¬
zwang empfunden zu haben.

Die uns zur Verfügung stehenden Porträtphotographien Graggers strahlen
ein heiteres harmonisches Verhältnis der Persönlichkeit zu ihrer Umwelt, ziel¬
strebiges Auftreten in allen für wichtig gehaltenen Angelegenheiten und selbst¬
sichere Überlegenheit in den jeweiligen Urteilen aus. Porträt und Werk weisen
nichts von verkrampften Anstrengungen eines Forschers auf, keine Spur von
der Entfremdung eines einsamen Akademikers und Wissenschaftsorganisators
im zermürbenden Ringen um den fortdauernden Nachweis der eigenen Be¬
deutung und Wichtigkeit.

Die spannendste Frage an Porträt und Werk ist daher gewiss die, welche
auf die Erklärung des natürlichen und selbstverständlichen Verhältnisses
dieses Menschen zu seinen wissenschaftlichen Verpflichtungen zielt. Davon,
d. h. von dieser Selbstverständlichkeit war nämlich seine ganze Tätigkeit
durchdrungen.

DIE JAHRE DER BILDUNG

Manche Umstände seines Lebens geben eine annähernde Antwort auf diese
Frage. Robert Gragger wurde am 5. November 1887 in Aranyosmaröt (slowa¬
kisch: Zlaté Moravce) im ehemaligen Oberungarn in einer Kaufmannsfamilie
teils ungarndeutscher, teils ungarischer Abstammung geboren und entwickel¬
te sich als Kind nach ersten Ungarischkenntnissen zweisprachig. Mit seiner
Mutter, geb. Wilhelmine Vallach, die später als Zahnärztin im Ausland lebte,
korrespondierte er z. B. ausschließlich Deutsch. Diese Zweisprachigkeit der
Familie und somit der Kindheit sowie die damit fest verankerte geistige Ent¬
wicklung in zwei Kulturen schufen die entscheidenden Voraussetzungen dafür,

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