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VERSUCH EINES PORTRATS DES ROBERT GRAGGER

Preußen, Weimar und die ungarische Königskrone,® in dem er einigen aus
ungarischer Sicht höchst interessanten politischen und diplomatischen Ma¬
növern nachging, die bis dahin hinter den Kulissen der großen vorrevolutio¬
nären historischen Schaubühne verborgen geblieben waren. Dabei begnügte
er sich nicht damit, lediglich Fakten und Daten positivistisch zu registrieren
und mitzuteilen. Bereits vor vierzig Jahren schätzte man an dieser Arbeit
neben der historischen Genauigkeit vor allem die einzigartige Charakteristik
der einzelnen historischen Personen, die „nahezu mit belletristischer Gestal¬
tungskraft verlebendigt wurden.“?

Am interessantesten ist jedoch gewiss jenes Beispiel, das nicht nur Graggers
gegenwärtige Achtung im begrenzten Kreis der Forscher, sondern darüber
hinaus auch seine noch immer nicht versiegte populärwissenschaftliche Brei¬
tenwirkung dokumentiert. Im Mai 1982 wurde in Budapest eine Goethe-Aus¬
stellung eröffnet." Dort war u. a. die Karikatur Goethes in deutsch-ungarischer
Tracht zu sehen. Jeder Ausstellungsbesucher, der davor stehen blieb, konnte
darunter die seitenlange wissenschaftlich fundierte Erklärung — deutsch und
ungarisch — mit der Unterschrift Robert Graggers lesen. Als ob dieser zu den
Mitgestaltern der Ausstellung von 1982 gehört hätte. Dabei wurden seine
Worte einem bereits 1912 in ungarischer und deutscher Sprache erschienenen
Goethe-Aufsatz entnommen.!! Die Entscheidung für ihn war richtig. Was er
darin einst geschrieben hatte, war 70 Jahre später immer noch unübertroffen.
Seine präzise Sachlichkeit hat keine nachgewiesenen und vermuteten Zusam¬
menhänge zwischen den Details der Karikatur und denen der Wirklichkeit
außer Acht gelassen. Außerdem verstand Gragger hier wie in allen seinen
wissenschaftlichen Arbeiten, mochte er deutsch oder ungarisch schreiben,
sich dermaßen natürlich und unmittelbar auszudrücken, dass er die Fakten
leicht zugänglich machte und zugleich seine wissenschaftlichen Resultate, die
ja eigentlich auf den unwegsamen Pfaden der Forschung und mühseliger Er¬
wägungen errungen worden waren, als eine Art Selbstverständlichkeit er¬
scheinen ließ. So konnte der Ausstellungsbesucher im Jahre 1982, der Graggers
Namen nicht kannte, den Eindruck haben, die zweisprachige Erklärung des
Bildes sei direkt für ihn verfasst worden.

® Gragger, Robert: Preußen, Weimar und die ungarische Königskrone. Mit dem Faksimile eines
Goethe-Briefes. Berlin: W. de Gruyter, 1923, X. 158 S. (= Ung. Bibl. Bd. I.)

9? Bessenyei, Ákos: Gragger Robert. Budapest: Danubia, 1944, S. 49. (- Minerva Könyvtár [Mi¬
nerva-Bibliothek] 158.)

10 Goethe-Ausstellung im Mai 1982 im Budapester Kultur- und Informationszentrum der DDR.

“| Gragger, Robert: Goethe Magyar—német ruhäban. In: Philologiai dolgozatok a magyar—német
érintkezésekrél. Red. v. Gragger, Robert. Budapest: Hornyänszky Ny., 1912, S. 379-381. Das¬
selbe deutsch: G., R.: Goethe in ungarischer-deutscher Kleidung. In: Ungarische Rundschau,
1912, Bd. 1, S. 569-573.