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LÁSZLÓ TARNÓI: SCHNITTPUNKTE. STUDIEN ZUR GERMANISTIK UND HUNGAROLOGIE

durchaus voneinander ab. Er war für die moderne sentimental reflektierende
Poesie, mir war diese ein Greuel, da ich die alte naive durchaus vorzog.""

1830 soll Goethe laut Eckermann sogar die Entstehung und Entwicklung
der antithetischen Begriffsinhalte vom Romantischen und Klassischen auf die
ersten Auseinandersetzungen mit Schiller zurückgeführt haben:

Der Begriff von klassischer und romantischer Poesie, der jetzt über die ganze Welt
geht und so viel Streit und Spannungen verursacht [...] ist ursprünglich von mir
und Schiller ausgegangen. Ich hatte in der Poesie die Maxime des objektiven Ver¬
Jahrens und wollte nur dieses gelten lassen. Schiller aber der ganz subjektiv wirkte,
hielt seine Art für die rechte [...]."

Beachtenswert ist dabei in diesen von der Literaturgeschichtsschreibung jeweils
„hochklassisch“ interpretierten Jahren Schillers jene Mittelalter-Orientierung
des Autors von der er für sich und seine Poesie auch dieses Mal Innovationen
erwartete, ähnlich wie etwa zehn Jahre davor von seiner damaligen klassizis¬
tischen Wende.!? Schon die umgearbeitete zweite Fassung der Götter Griechen¬
lands, besonders deren neue Schlussstrophe, verweist allerdings darauf, dass
die frühere begeisterte Hinwendung zu den klassischen Idealen die Illusions¬
verluste der neuen Zeit nicht mehr restlos zu sanieren vermochte. Das neue
— nennen wir es, wie es der Dichter selbst bezeichnete — „romantische“ Inte¬
resse belegt bereits im ersten Quartal von 1796 (sozusagen zur Zeit der frü¬
hesten Anfänge der damals noch äußerst modern wirkenden Mittelalter¬
Orientierung) die Erkenntnis, nach der „die Minnesänger und Troubadours
und dergleichen [...] doch mehr in die Classe der naiven als der sentimentali¬
schen Dichtung [gehören]“'? - ein Standpunkt, der um diese Zeit für Schiller
in hohem Maße wegweisend sein konnte. Aber bereits ein halbes Jahr davor
bekannte er sich zu dem ihn bereits seit längerer Zeit beschäftigenden roman¬
tischen Interesse in einem Brief an Humboldt, wo u. a. Folgendes steht: „Noch
wollte ich, um einem langen Wunsch nachzugeben und mich zugleich in einer
neuen Gattung zu versuchen, eine romantische Erzählung in Versen machen,
wozu ich auch den rohen Stoff schon habe.“'?

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Reinhart, Karl Friedrich: Tagebuch. In: Goethes Gespráche. Biedermannsche Ausgabe. Bd. 2.
München: DTV 1998, Nr. 2500, S. 241. (Hervorhebung L. T.)

Gesprách am Sonntag, den 21. Márz 1830. In: Goethes Gespráche mit Eckermann. Leipzig:
Insel-Verlag, o. J., S. 541. (Hervorhebungen L. T.)

Siehe dazu die erste Fassung der „Götter Griechenlands“ und die Korrespondenz darüber mit
Körner.

Schiller an Wilhelm von Humboldt, Jena, den 21. März 1796, Montag. In: SWN, Bd. 28. Hg. v.
Norbert Oellers. Weimar: Hermann Böhlaus Nachfolger, 1969, S. 202.

Schiller an Wilhelm von Humboldt, Jena, den 5. October 1795, Montag. Ebd., S. 72. (Hervor¬
hebungen L. T.)

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