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ROMANTISCHES UND SENTIMENTALES ...

ihnen sollen allerdings die „klassizistischen“ bzw. „klassischen“ Innovations¬
versuche und noch mehr die bereits anachronistisch gewordenen spätaufklä¬
rerischen Tendenzen ausgeklammert werden. Dagegen sollen hier diese Be¬
griffe ausnahmsweise sämtliche moderne Experimente vor und nach 1800
einschließen, mit denen der jeweilige Künstler des Wortes das neue Erlebnis
von Spannungen zwischen der plötzlich stärker als je zuvor befremdenden
Wirklichkeit und des verfremdeten Dichtersubjekts zu reflektieren beabsich¬
tigte. Letzteres überschritt nämlich auf der Suche nach einer angemessenen
Antwort — bewusst oder unbewusst und mehr oder weniger unabhängig von
seinem persönlichen Standort - die früher vorausgesetzten Grenzen zwischen
„Ideal“ und „Leben“. Man fand ja bei den fieberhaften Veränderungen der Welt
zwischen der Erstürmung der Bastille und dem Staatsstreich des 18. Brumaire,
obwohl man sich bereits alle Paradigmen des Jahrhunderts angeeignet hatte
und diese in- und auswendig kannte, keine adäquaten Rezepte mehr für ver¬
tretbare Innovationen der aufgeklärten Utopien, die einem unmittelbar vor
1800 unvergleichlich häufiger als früher abverlangt wurden. Selbstverständlich
fächerten sich diese romantischen Grenzüberschreitungen zwischen den em¬
pirisch verständlichen und mit rationalen Argumenten vertretbaren Vorstel¬
lungen und den von der sozialhistorischen, tagespolitischen Wirklichkeit
entfremdeten Ideen bereits vor der Jahrhundertwende immer breiter auf. Doch
war schon damals auch jene allgemeine Betrachtung des „Romantischen“ sinn¬
voll, als seine Begrifflichkeit zur Zeit seiner frühesten Anfänge von den Zeit¬
genossen mitgeprägt wurde, wie z. B. von Friedrich Schiller. Für ihn war das
Phänomen des Romantischen bereits seit den ausgehenden achtziger Jahren
stets mit der Bedeutung von einer Art antithetischen Künstlersicht zu der an
der puren Wirklichkeit haftenden poetischen Verfahrensweise gebunden.® Und
ganz ähnlich interpretierte es auch Goethe, oft gleichzeitig auf Unterschiede
zwischen sich und Schiller bzw. auf Komponenten ihrer auseinanderstrebenden
Anschauungsweisen hinweisend, so z. B. als er nach Schillers Tod der Zeit der
Anfänge ihrer Zusammenarbeit um 1794/1795 u. a. mit folgenden Worten ge¬
dachte: „Er [Schiller, L. T.] legte [...] den ersten Grund zur ganz neuen Ästhetik:
denn hellenisch und romantisch, und was noch sonst für Synonymen mochten
aufgefunden werden, lassen sich alle dorthin zurückführen, wo vom Überge¬
wicht reeller oder ideeller Behandlung zuerst die Rede war.“?

Noch deutlicher bestimmte Goethe die Unterschiede in einem Gespräch
mit Karl Friedrich Reinhardt im Jahre 1807: „Schiller war im höchsten Grade
Idealist und reflektierend, schon in unsern Absichten über Poesie gingen wir

® Siehe z. B. Schillers Brief an Charlotte von Lengenfeld und Karoline von Beulwitz, Weimar den
26. Januar 1789. In: Dichter über ihre Dichtungen. Friedrich Schiller. Bd. 1. Von den Anfängen
bis 1795. Hg. v. Bodo Lecke. München: Heimeran, 1969, S. 682.

° Goethe: Einwirkung der neueren Philosophie. In: Goethe: Poetische Werke. Bd. 16. Berlin /
Weimar: Aufbau-Verlag, 1964. S. 383. (Hervorhebungen L. T.)

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