Die Frage der Urania:
Was ist die arge Welt?
1. Ein ungestümmes Meer,
Ein Haus voll böser Kinder.
2. Ein Richter sonder Ehr’,
Ein Stall voll dummer Rinder.
3. Ein Feld voll böser Frucht,
Ein Reich vom Wahn regieret.
4. Ein Kriegsheer ohne Zucht,
Die Blindheit stoltz gezieret.
5. Der Thron der Eitelkeit,
Die Feindin aller Tugend.
6. Ein Weg fast Höllen weit,
Die Freundinn aller Jugend.
7. Der Sünden Aufenthalt,
Ein Hospital von Krancken
8. Ein Raub- und Mörder-wald,
Deß Glücks und Unglücks
Mögliche Assoziationsketten
1. Meeresstrudel, Unbeständigkeit,
bedrohliche Bewegungen, Bosheit.
2. Betrug, sich verstellen, Heuche¬
lei, Tierische Dummheit.
3. Jedes Tun unheilbringend, Land
u. Leben vom Wahnsinn geleitet.
4. Krieg, Soldaten, Chaos
Angeberei ohne jede Veranlagung
5. Herrschende Eitelkeit, alles Gute
bezwingende Unsittlichkeit
6. Zukunft: ewiges Leiden,
Verkommen junger Leute,
7. Überall stets Vergehen u. Sünden
Seele und Körper dahinsiechend
8. Existenzgefahr, böse Menschen
dem Schicksal ausgeliefert sein
(stets Unglück verheißend)”
Ungarisch: Urania kerdese:
1. Örvény egy tengeren,
Rossz gyermekeknek akla.
2. Bíró, ki becstelen,
Egy karám kerge marha.
3. Gyümölcs, mely mérgezett,
Hol bomlott ész a díszlet.
4. Egy had, mely szétesett,
S a vakság büszke dísz lett.
5. A hívság trónusa,
Mely csábít lányt s fiút.
6. Erények gyilkosa,
Pokolba széles út.
7. A bűnök otthona,
Betegek ispotälya
8. Gyilkos rablötanya,
Harsdörffers Gedicht ist eigentlich ein einziges vielverzweigtes Gleichnis: Der ver¬
glichene Teil ist die Überschrift des Gedichtes bzw. das Subjekt des zu ergänzen¬
den Fragesatzes der Muse „Urania“, d.h. Die Welt. Dagegen verselbstständigen die
acht Antworten die vergleichenden Begriffe des Gleichnisses zu Metaphern. Denn
diese verschmelzen nunmehr als autonom gewordene Bilder Vergleichendes und
Verglichenes miteinander. Sie sind nämlich bereits — gelöst vom eigentlichen Titel
sowie vom Leitwort des Fragesatzes - alle an sich gleichzeitig einerseits die Welt
selbst, aber andererseits auch alldas, wie diese Welt dank des jeweiligen Bildes zu
begreifen sei. Die „Übertragung“ (= Metapher), wie sie in der Barockpoetik von
Harsdörffer heißt, wurde auf diese Weise restlos vollzogen.
Ähnlichen Metaphern barocker Weltverachtung begegnet man immer
wieder im ganzen Barockjahrhundert. Nicht anders als in Harsdörffers Gedicht
lassen z. B. auch in Christian Hofmann von Hofmannswaldaus Die Welt bzw.
Verachtung der Welt”* im jeweiligen Leser Assoziationsketten erschütternder
Perspektivlosigkeit aufkommen. Der Unterschied besteht allerdings darin, dass
* Vgl. dazu in Theobald Ho(e)cks Gedicht „Von der Welt Hoffart und Bosheit“ von 1601 die durch
die Reihenfolge stets Unglück verheißenden Verse „Das untrew Glücke / Sich täglich stets
verkehret /“ (3. Strophe) sowie „O Glück wie wanderstu herumb auff Erden / Heut König mor¬
gen kanst ein Bettler werden“ (5. Strophe). Siehe den Abschnitt mit dem Titel „Von der Welt
Hoffart und Boßheit - Summarische Verdichtung der Ho(e)ck’schen Motive“ im Kap. „Poesie
trostloser Verzweiflung: Theobald Ho(e)ck von der Bosheit der Welt“ in diesem Band.
8 Beide Gedichte von 1679 siehe in: Die deutsche Literatur. Texte und Zeugnisse. Bd. 3. Barock.
Hg. v. Albrecht Schöne. München: C. H. Beck, 1963, S. 226 u. 843-845.