2. DAs GLUCK UNGETRUBTER UNGARNIDENTITAT...
2. Das GLUCK UNGETRUBTER UNGARNIDENTITAT
DER DEUTSCHEN BÜRGER IM KÖNIGREICH UM 1800
Als ein besonderes historisches Glück sowohl für die schon immer
Einheimischen, die Urungern, wie sie um diese Zeit recht oft von den
anderen Nationalitäten bezeichnet wurden, wie auch für die Eingewanderten
dürfte die Tatsache beurteilt werden, dass die Ungarndeutschen des
Königreichs größtenteils bereits vor der Französischen Revolution und den
Napoleonischen Kriegen ihre Heimat in Ungarn fanden, als aus der Urheimat
noch kaum etwas von einem deutschen National- und Vaterlandsbewusstsein
zu importieren war.’ Es ist gewiss kein Zufall, dass man die Einwanderer
aus dem Deutschen Reich für „cosmopolitisch“ hielt.‘ Für Ungarn und
Ungarndeutsche war es daher ein äußerst glücklicher Umstand, dass das
Gefühl der Verbundenheit mit dem Vaterland in den Eingewanderten erst
im Königreich entstand, dessen Bürger sie wurden — und zwar mit einem
entschiedenen Engagement für Ungarn bis zur gänzlichen (nationalen)
Identifizierung mit dessen Vergangenheit und Zukunftserwartungen sowie
mit dessen Kultur, Sitten und Lebensart. So halte ich es ebenfalls für keinen
Zufall, dass der junge Arndt? im August 1798 seine Ungarnerlebnisse
(damals noch nicht ganz ohne Neid) mit der Bewunderung des nationalen
Gefühls der einheimischen Bevölkerung krönte:
Für diese Ungeschmeidigkeit [...] und Unbehülflichkeit, wie einige es nennen, für
dieses Eigne der Nation, [...] sich überall dem Fremden nicht so leicht anzupassen,
haben sie [...] reichliche Entschädigungen in der Eigenthümlichkeit, und, warum
soll ich es nicht sagen? in dem Nationalkarakter, der doch immer nur ein Volk
macht. Wem dieser Nationalkarakter, dieses unterscheidende fehlt, dem fehlt auch
ein Land, das ihn zusammenhalte, ein Land, das aus allen ein unzerbrechliches
Bündel Cyrrusscher Pfeile mache, in Gefahren alle Arme bewaffne, alle Herzen
vereinige, Nation und Vaterland Eins mache.”
Bei ihrer historischen Begegnung passten sich freilich auch im Sinne dieser
Worte von E. M. Arndt nicht die Magyaren den deutschen Neusiedlern,
sondern umgekehrt die weltoffenen (zur Zeit ihrer Einwanderung möglicher¬
weise „kosmopolitisch“ eingestellten) deutschen „Städter“ den Ungarn an.
Die Interessen eines ungarndeutschen Stadtbürgers und eines ungarischen
” Siehe darüber ausführlicher Kap. V/1-3.
® Siehe Kap. V/1 die Worte von Martin Schwartner.
Arndt wurde anderthalb Jahrzehnte später der bekannteste nationale Dichter der deutschen
Befreiungskriege.
Arndt, Erinnerung an Ungern, S. 324 f. In: Deutschsprachige Texte aus Ungarn, Bd. 3, S.
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