III. DIE DICHTUNG DER DEUTSCHSPRACHIGEN UNGARN UM 1800
Uns gehört das Schöne und das Gute,
Das in der Heimath fruchtbar sich beweist;
In unsrer Seele nur, in unsrem Blute
Glüht unsrer Väter kräft’ger Thatengeist!
Und was derselbe hinterließ, — den Erben
Geziemt es, drauf zu leben und zu sterben.’
Gewiss kann sich kein ungarischer Leser solcher Verse aus der ungarn¬
deutschen Lyrik dem Eindruck der gehaltstypologischen Parallelen zu Mihäly
Vörösmartys Szözat [Mahnruf] von 1836° entziehen.
Die allgemeine Kenntnis dieses Gedichtes von Vörösmarty ist in Ungarn
dem patriotischen Gehalt, der klaren und feierlichen, jeden Adressaten
ansprechenden und fesselnden Sprache sowie der wirksamen Vertonung von
Beni Egressy aus dem Jahre 1843 zu verdanken. Der originale Text der ersten
zwei (auch gesungenen) Strophen lauten ungarisch folgendermaßen:
Hazädnak rendületlenül
Legy hive, oh magyar;
Bölcsöd az ’s majdan sírod is,
A nagy világon e" kívül
Nincsen számodra hely;
Áldjon vagy verjen sors? keze:
Itt élned, halnod kell."
Laut kritischer Ausgabe erschien das Vörösmarty-Gedicht von 1842 bis 1960
in mehr als 20 deutschen Nachdichtungen unter den Titeln Zuruf, Ausruf
und Mahnruf.° Leider scheint aber auch die 1970 veröffentlichte sorgfältig
bearbeitete Variante der Nachdichtung von Hans Leicht syntaktisch
bzw. semantisch im Vergleich zu der schlichten, natürlichen Sprache des
ungarischen Gedichtes etwas schwerfällig verschroben“! zu sein. Trotzdem
sind die engen inhalttypologischen Beziehungen folgender Verse (vor allem
am Ende der zweiten Strophe) zu den obenzitierten patriotischen Versen der
beiden Ungarndeutschen (Gruber und Rösler) aus dem ersten Jahrzehnt des
19. Jahrhunderts sogar in dieser Nachdichtung nicht zu verkennen:
>” Rösler, Christoph: Nationalstolz. In: Zeitung für Herren und Damen. Pest, 1807, Nr. 18, S.
141. (Hervorhebungen L. T.) In: Deutschsprachige Texte aus Ungarn, Bd. 1, S. 128.
58 Vörösmarty, Mihály: Szózat [Mahnruf]. In: V., M.: Összes müvei [Sämtliche Werke]. Bd. 2.
Budapest: Akademiai Kiadö, 1960, S. 210 f. u. 614-657. Siehe auch Kap. 1/6.
59 Ebd., S. 210.
60 Ebd., S. 641-643.
6 D.h. eher gekünstelt als künstlerisch oder kunstvoll.