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II. DEUTSCHSPRACHIGES LITERARISCHES LEBEN IN OFEN UND PEST UM 1800

Göttingen oder etwa in Greifswald zu lesen und/oder mit der Gegenüber¬
stellung von Erinnerungsbildern aus der Nahvergangenheit im eigenen Lande,
aus den Jahren der Josephinischen Pressefreiheit, zu erkláren.

Letzten Endes scheint es dabei neben der Kritik an der fehlenden politischen
Freizügigkeit vor allem auch darum zu gehen — wie es im Weiteren auch aus
den Worten von Arndt zu entnehmen ist -, dass die Zensurbehörden ihre
Entscheidungen der breiten Nachfrage folgend eigentlich ohne Sinn für den
richtigen Geschmack sowie fiir Kultur und Bildung getroffen hatten:

Romane und andres unbedeutendes Papier, wie es die Messen fiir die schwachen
und verdorbenen Magen in Menge liefern, und wie es die spionische Wiener
Censur allein durchläßt, sind hier das, was die Buchhändler am meisten absetzen
[...] und in dieser Hinsicht lieben die Ungern und Ungerinnen das Lesen so sehr,
als eine Stadt in Teutschland, und ihre Bürgertöchter, Frisöre und Lakaien stehen

darin den unsrigen im geringsten nicht nach.’

Was also die Nachfrage und das Angebot in Ungarn betrifft, habe es demnach
schließlich kaum Unterschiede zu den Städten Mittel- und Norddeutschlands
gegeben.

Merkwürdig ist es dabei, dass man in Ofen zwölf Jahre davor, also noch
inmitten der Josephinischen Pressefreiheit, von deren Freizügigkeit die
mittel- und norddeutschen Städte um 1800 nicht einmal träumen konnten,
über das Niveau des zum Lesen gedruckten Angebotes ganz ähnlich wie später
in den Jahren der Zensur klagte, indem z. B. Märton Kovachich damals unter
dem Titel „Ernstlich aber wohlgemeinte Warnung an die begierigen Leser der
Modeschriften“ die folgenden Worte schrieb:

Ohnlängst brachte mir ein gutdenkender Mensch zwey Verzeichniße von
Büchern, die, wie er erzählte eine lesende Gesellschaft für ein auf gemeine Kosten
zu errichtendes Lesekabinet einzukaufen gesonnen sey, [...] erfreut über die
Ausbreitung der Lesebegierde gieng ich die Verzeichniße mit aller Aufmerksamkeit
durch, fand aber zu meiner Betrübniß kaum zwey wirkliche Reisebeschreibungen
darunter, die einigermassen würdig gewesen wären von einem Manne von geseztem
festen Charakter gelesen zu werden; die übrigen waren lauter empfindsame
Jülchen, Kätchen, Lôtchen.!°

° Siehe Anm. Nr. 5. (Hervorhebung L. T.)

Kovachich, Martin Georg: Ernstlich aber wohlgemeinte Warnung an die begierigen Leser der
Modeschriften. In: Merkur von Ungarn oder Litteraturzeitung für das Königreich Ungarn
und dessen Kronländer. Hg. v. einer Gesellschaft patriotischer Liebhaber der Litteratur.
Geordnet und besorgt v. Martin Georg Kovachich. Ofen: Gedruckt mit königlichen
Universitätsschriften, 1786, Jahrgang 1, Heft 11, S. 1088-1101. In: Deutschsprachige Texte
aus Ungarn, Bd. 3, S. 17.

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