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3. , LESEBEGIERDE" IM DEUTSCHSPRACHIGEN PEST-OFEN

Nun könnte ich mit meinem Referat an dieser Stelle aufhören. Doch bei
allem aufrichtigen Respekt für Ernst Moritz Arndt und István Nemeskürty
und bei allem anerkennenden Verstándnis für ihre Worte gestatten Sie mir,
diese mit meiner Sicht auf das literarische Leben jener Jahre zu ergánzen.

Arndt sah den Grund für seine Aussage, ganz áhnlich wie ein Jahr spáter
Jacob Glatz’ — und eigentlich die meisten deutschsprachigen Intellektuellen
damals in Ungarn und in Deutschland - in der Wiener Zensur, und
Nemeskürty zog seine Konsequenzen aus den Folgen der sogenannten
Jakobiner-Verschwörung.® Tatsächlich war es danach mit den Chancen für
die Entstehung und Entwicklung eines ungarischen literarischen Lebens im
hauptstädtischen Zentrum des Landes für Jahrzehnte vorbei.

Auch mit Arndts Stellungnahme kann man soweit einverstanden sein,
dass zumindest ein gewisser Freiraum der literarischen und kulturellen
Kommunikation eine unerlässliche Voraussetzung für das literarische Leben
ist, wenn auch nicht die einzige. Aber diesen notwendigen Freiraum gab es im
Königreich um 1800 trotz aller Strenge der wenige Jahre davor eingeführten
Zensurmaßnahmen. Auch in diesen Jahren kam es ja im Vielvölkerkönigreich
nie und bei allen Unterschieden in keiner Sprache und Literatur dazu, dass
die Produktion und die Distribution von geschriebenen bzw. gedruckten
Texten infolge umfassender und unnachgiebiger kultureller oder politischer
Verbote erdrosselt worden wären. Ganz im Gegenteil dazu beweisen die
Fakten, dass vor und nach 1800 das Angebot an Büchern, Almanachen,
periodischen Schriften und Iheateraufführungen in den urbanen Regionen
Ungarns fortwährend zunahm.

3. , LESEBEGIERDE“ IM DEUTSCHSPRACHIGEN PEST-OFEN

Allerdings war das, was man mit dem Begriff literarisches Leben bezeichnen
kann, nicht erst seit dem Jakobinerprozess in den Jahren 1794/95, sondern
bereits ab 1784 und bis um 1817 eindeutig deutschsprachig, wobei dessen
schnellster, vielfaltigster und wirksamster Aufstieg in der gleichen Zeit im
alten Pest-Ofen zu erleben war.

Die scharfe Kritik von zeitgenössischen Autoren des In- und Auslandes an
der Zensur in Wien und in den Städten des Königreichs ist in erster Linie
als Ergebnis von Vergleichen der einheimischen Publikationsmöglichkeiten
um 1800 mit diesbezüglichen Erfahrungen während der Studienjahre in Jena,

[Glatz, Jacob]: Freymüthige Bemerkungen eines Ungars über sein Vaterland. Auf einer Reise
durch einige Ungarische Provinzen. Teutschland: 1799, 5.317, 326-328. In: Deutschsprachige
Texte aus Ungarn, Bd. 3, S. 43, 48-49.

® Siehe dazu Kap. X/6.

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