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I. DEUTSCHSPRACHIGE ÁUTOREN UND TEXTE IM KÖNIGREICH UNGARN...

Als das magyarische literarische Leben in der Zeit um 1800 im Königreich
für etwa zwei Jahrzehnte völlig erlahmte, konnte es also auf diese Weise
— obzwar nicht ungarisch, aber stets und konsequent ungarnverbunden —
mit deutschsprachigen Werken, literarischen Programmen und Debatten,
Lesezirkeln, periodischen Schriften und Almanachen sowie Bühnenauf¬
führungen höchst effektiv ersetzt werden. Dies war umso mehr möglich,
da damals auch die nur einigermaßen gebildeten Einwohner Ungarns ¬
einschließlich jener, deren Muttersprache nicht Deutsch war - so gut wie
ohne Ausnahme in der Lage waren, sich am deutschsprachigen kulturellen
Leben zumindest als dessen Konsumenten zu beteiligen.

5. DIE VERMITTLUNG DIVERSER WERTVORSTELLUNGEN
AUS DEUTSCHLAND NACH UNGARN

Dieses deutschungarische kulturelle Leben wurde gleichzeitig in hohem
Maße auch jener interkulturellen Funktion gerecht, durch welche die neu¬
esten Wertvorstellungen und die modernsten poetischen Stiltendenzen des
aufgeklärten Deutschland im Königreich äußerst schnell Fuß fassten. Die in
Göttingen und Jena studierten Verfasser verbreiteten mit hochgradiger
Authentizität die aktuellsten wissenschaftlichen, philosophischen und
ästhetischen Ansichten sowie die neuesten literarischen Stiltendenzen
und Modetrends in Theorie und poetischer Praxis unter einem damals in
Ungarn überwiegend nur deutsch und zu einem wesentlich kleineren Teil
auch deutsch lesenden Publikum. Freilich beteiligten sich daran auch Pester
Professoren, wie u. a. der Kantianer Anton Kreil und Schedius, der sich noch
Jahrzehnte später auf die ästhetischen Thesen von Schiller berief,!? oder z.B.
auch Professor Halitzky, dessen germanistisches Vorlesungsprogramm schon
im Jahre 1792 außer der klassizistischen Ästhetik von Winckelmann und den
belletristischen Werken von Lessing, Klopstock und Wieland auch Schillers
Poesie sowie sogar die zwischen 1781 und 1788 veröffentlichten Kritiken von
Kant enthielt, außerdem einen besonderen Wert auf die Untersuchung und
Förderung der ungarischen Nachdichtungen der deutschen Literatur setzte.”°

Die Argumentation für die verschiedenen Vorbilder seitens der deutsch¬
sprachigen Ungarn war umso mehr authentisch, da sich recht viele von ihnen
dank ihrer Studienzeit in Göttingen und in Jena (z. B. Schedius, Jacob Glatz,

Schedius, Johann Ludwig: A Szepseg Tudomänya [Die Wissenschaft des Schönen]. In:
Aurora, 1822, Bd. 1, S. 313-320.

Halitzky, Andreas Friedrich: Antrittsrede bey Eröffnung des Lehrstuhls der Deutschen
Sprache und Litteratur. Gehalten den 14. May 1792. Lehrer der Deutschen Sprache
und Litteratur an der Königl. Ungarischen Universität zu Pesth. Gedruckt mit Königl.
Universitätsschriften.

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