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BILDUNGSREISEN EINES PROTESTANTISCHEN INTELLEKTUELLEN IN DEN 1860ER JAHREN

„Hier nimmt man das ernst, nicht wie in Ungarn, wo man in den Lesezimmern
der Kasinos nicht nur sprechen, sondern auch sich fast jeden Tag zanken darf.“
Er besuchte auch die Stadtbibliothek, wo er die Schriften der ungarischen pro¬
testantischen Prediger, die unter der Herrschaft Leopold I. im Jahre 1675 auf die
Galeeren geschickt wurden, zu studieren und zu kopieren begann.

Er fuhr an einem Tag nach Männedorf, wo die Jungfrau Dorothea Trudel
(1813-1862) eine Heilanstalt gegründet hatte. Die Kranken wurden durch Gebet,
Handauflegung und Salbung geheilt. Sie führte ein heiliges Leben und vollführte
mit Hilfe eines starken Glaubens Wunderheilungen. Die Ärzte stellten sie als
Zauberer und Quacksalber vor Gericht, allerdings ohne Erfolg. Zsilinszky be¬
trachtete die Wundertaten und diese konkrete Wirkung des Gebets mit Skepsis,
er sammelte aber in der Heilanstalt nur gute Eindrücke und Erfahrungen.

Auf welche Weise erfolgte die Reise statt? Zsilinszky hatte die Reisen genau
geplant — den Zeitraum für den Aufenthalt in einer Stadt, die aufzusuchen¬
den Sehenswürdigkeiten. Er behauptete, dass er gerne Pläne machte, die aber
oft über den Haufen geworfen würden. Wichtige Gesichtspunkte waren die
Sparsamkeit und die Preisgünstigkeit. Italien fand er für teuer und Venedig
kostete ihm das meiste Geld. Er fuhr nur einmal in der zweiten Klasse mit der
Eisenbahn (von Verona bis Mailand für sieben Gulden). Er benutzte deutsch¬
sprachige Reiseführer von Baedekker und Müller. Wenn es nötig war, nahm er
sich einen Bergführer oder einen Cicerone in Großstädten, so z. B. in Venedig,
die ihm wie ein Labyrinth vorkam. Er mochte die Reisegefährten, mit denen er
sich vernünftig unterhalten und die Erlebnisse besprechen konnte. Manchmal
wurde auch über die ungarischen Angelegenheiten diskutiert. Ein österreichi¬
scher Händler aus Laibach (heute Ljubljana, Slowenien) schimpfte die Ungarn
aufgrund der „Augsburger Tante“ (die Augsburger Postzeitung oder Abendzei¬
tung). Zsilinszky antwortete ihm in ähnlichem Ton, sein Diskussionspartner
blieb jedoch ruhig und lächelnd. „Man sollte ihn in die Klasse der Dickhäuter
einreihen, allerdings entfeindeten wir uns nicht“ — notierte er.

Die Errungenschaften der Industrialisierung haben das Reisen erleichtert,
und er konnte meistens mit der Eisenbahn fahren. Er benutzte aber auch das
Schiff (auf dem Bodensee und Genfer See, auf der Donau), die Postkutsche,
den Eilwagen und den einfachen Wagen. In den Bergen Oberungans musste er
allerdings einige Strecken zu Fuß überwinden.

Warum und an wen schrieb er die Reisetagebücher? Er notierte in den Mus¬
sestunden der Reisen die Ereignisse, wobei er stets den Aufenthaltsort und
das Datum angab. Von Zeit zur Zeit war er mit den Tagebucheinträgen im
Rückstand. Die letzten Phasen der drei Reisen hatte er nicht notiert. Er fasste
überwiegend die eigenen Erfahrungen und Eindrücke in Schrift. Gelegentlich

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