POLITISCHE JUSTIZ IN RUSSLAND: STRAFPROZESSE GEGEN UKRAINISCHE STAATSBÜRGER
Der Regisseur Oleg Sencov und der Aktivist Oleksandr Kolcenko wurden im
Mai 2014 auf der Krim verhaftet und gewaltsam nach Russland verbracht.'*Dort
wurden ihnen Terroranschläge (Brandanschläge gegen Organisationen, die Russ¬
lands Annexion der Krim unterstützten und gegen ein Lenindenkmal sowie wei¬
tere Denkmäler aus der Sowjetzeit) zur Last gelegt."
Der ukrainische Aktivist Mykola Karpjuk wurde im März 2014 nach Russland
entführt. Der Geschichtslehrer Stanislav Klych wurde im August 2014 beim Besuch
einer Freundin in Russland festgenommen. Beiden wurde vorgeworfen, während
des ersten Tschetschenienkriegs 1994 russische Soldaten ermordet zu haben."
Der angehende Jurist Jurij Jacenko wurde im März 2014 auf einer Reise in Russ¬
land festgenommen und der illegalen Einreise sowie des Besitzes von Schwarz¬
pulver beschuldigt (Art. 222 in Russlands Strafgesetzbuch).
Der 73jährige Rentner Jurij Solozenko wurde im August 2014 während einer
Geschäftsreise in Moskau festgenommen und in einem nichtöffentlichen Prozess
der Spionage angeklagt (Art. 276).
Serhij Lytvynov, der unter einer leichten psychischen Behinderung leidet, wur¬
de im August 2014 in Russland verhaftet, wo er sich zu einer zahnärztlichen Be¬
handlung aufhielt. Er wurde der illegalen Einreise und des mehrfachen Mordes
an russischsprachigen Bewohnern der östlichen Ukraine beschuldigt (Art. 356,
$ 1, Gräueltaten gegen Zivilbevölkerung und Kriegsverbrechen).’ Alle diese Fälle
weisen zahlreiche Ähnlichkeiten mit den politischen Schauprozessen in der So¬
wjetunion auf.
Da die internationale Gemeinschaft die Annexion der Krim nicht anerkannt hat und diese
weiter als besetztes Gebiet gilt, hätten Sencov und Kol’cenko als Zivilpersonen den Schutz
des Genfer Abkommens IV von 1949 genießen müssen. Dort heißt es in Art. 76: „Die
einer strafbaren Handlung beschuldigten geschützten Personen sollen im besetzten Gebiet
gefangen gehalten werden und, falls sie verurteilt werden, dort ihre Strafe verbüßen.“ Siehe
Genfer Abkommen über den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten, www.admin.ch/opc/
de/classified-compilation/ 19490188/index.html.
Art. 205.4 Teil 1 des Russländischen Strafgesetzbuchs (Organisation und Führung einer
terroristischen Vereinigung), Art. 205.4 Teil 2 (Durchführung eines Terroranschlags), Art. 30
Teil 1 und Art. 205 Teil 2 (Vorbereitung eines Terroranschlags), Art. 30 Teil3 und Art. 222 Teil
3 (versuchter illegaler Erwerb von Sprengstoff), Art. 222 Teil 3 (illegaler Erwerb, Transport und
Lagerung von Waffen und Munition), Art. 205.4 Teil2 (aktive Teilnahme an einer terroristischen
Vereinigung).
1° Art. 209 (Bandenkriminalität) des Russländischen Strafgesetzbuches und Art. 102 (V)
(Mord an einem Staatsbeamten) des Sowjetischen Strafgesetzbuchs von 1960, das zum
angeblichen Tatzeitpunkt noch in Kraft war.
17 Die Anklage wurde später fallengelassen und Lytvynov stattdessen ebenso willkürlich nach
Art. 162 $ 3 wegen schweren Raubs zu achteinhalb Jahren Haft verurteilt, siehe Halya
Coynash, Arrest a Ukrainian — Russia’s Investigative committee will do the rest, Khpg.org
(15.7.2015), http://khpg.org/index.php?id=1436827549.