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LÁSZLÓ TARNÓI: SCHNITTPUNKTE. STUDIEN ZUR GERMANISTIK UND HUNGAROLOGIE

gab, der den jeweiligen Text deutsch nicht, unter Umstánden sogar nicht bes¬
ser und leichter als ungarisch hätte lesen und verstehen können.!”
Trotzdem erschien 1836 ein selbständiger ungarischer Schillerband (der
erste in seiner Art) mit 38 Gedichten (darunter 9 Balladen). Dank der zuneh¬
menden ungarischen Nachfrage nach Schillers Lyrik folgte diesem in den
vierziger Jahren auch eine zweite Auflage.'” Das große Interesse der Ungarn
für Schillers Lyrik belegt auch die zeitgenössische Frequenz der ungarischen
Übersetzungen mancher seiner Gedichte: Die für die zeitgenössische ungari¬
sche Sprache so fremden Ideale von Schiller erschienen zum Beispiel nach
meinen Recherchen zwischen 1815 und 1837, im kurzen Zeitraum eines knap¬
pen Vierteljahrhunderts, in sieben (!)'% verschiedenen Übersetzungen und
diese zwischen 1815 und 1845 in zehn Veröffentlichungen. Gewiss gibt es kein
fremdes Gedicht ähnlichen Umfangs an dem sich die poetischen Talente damals
— vielleicht auch später - in einer so kurzen Zeit so oft versucht hätten. Man
bewundert dabei die Entwicklung der Übersetzungskunst der Ungarn: Wie
schwerfällig noch die ersten Varianten, z.B. die in der Aurora und in der Hebe
(1823 und 1824) waren, wie man sich 1829 anstrengte, in einer Rohübersetzung
nebst einer Studie die in der Muttersprache noch fremd anmutenden Sonder¬
heiten der modernen Gedankenlyrik so deutlich wie möglich poetisch auszu¬
drücken, mit welcher Leichtigkeit schließlich nach diesen Vorarbeiten die
letzte von Jözsef Szenvey, einem der besonders produktiven Schiller-Überset¬
zer der zwanziger und dreißiger Jahre, 1837 verfasst wurde! Letztere ist ein
echtes ungarisches Gedicht geworden. Das Spannungsfeld der „zerronnenen
Ideale“, der „heitern Sonnen“, die der „Jugend Pfad erhellt“ haben, und der
„rauen Wirklichkeit“ fand Eingang in die ungarische Poesie. Damit vermittel¬
te der von seinen romantischen Zeitgenossen in der Literaturgeschichtsschrei¬
bung mit „Weimar“ und Hochklassik“ getrennte Schiller moderne Krisenef¬

10° Man denke dabei an das deutschsprachige Städtebürgertum im Königreich sowie an die u. a.
von Mihäly Vörösmarty kritisierten ungarischen Damen, die wegen mangelnder ungarischer
Sprachkenntnisse damals nur deutsch lasen und deutsche Theater besuchten und für die z.
B. der ungarndeutsche Schriftsteller, Carl Anton v. Gruber seine letzte Novelle mit ungarischer
Thematik unter dem Titel „Margit“ angeblich nur aus diesem Grund in deutscher Sprache
verfasste. Siehe Schnittpunkte, Bd. 1, S. 210-211.

Schiller Fridrik’ Versei. Kiadta magyarul Soproni Fidler Ferenc [Friedrich Schillers Gedich¬
te. Ungarisch hg. v. Ferencz Soproni Fidler]. (Nachgedichtet vom Herausgeber sowie von
Jözsef Szenvey u. Ferenc Teleki). 1. u. 2. Aufl. Kolozsvär: Tilsch, 1836 u. 1845, 214 S.

Ins Ungarische iibers.: 1. Kis, Janos (Kis Janos versei [Gedichte]. Hg. v. Ferenc Kazinczy. 3
Bde. Pest: Trattner 1815, Bd. 1, S. 31-34); 2. Helmeczi, Mihaly (Auróra, 1823, S. 75—78); 3.
Teleki, Ferenc (Hébe, 1823, S. 228-231); 4. Dessewffy, Jözsef (Hebe, 1824, S. 137-140); 5.
Rohübersetzung v. S. I. R. P. (in: Egy két jó szó a tanuló, kivált íróságra törekedő ifjúsághoz
nálunk [Einige Worte an die studierende Jugend, vor allem an die, die den Schriftsteller-Be¬
ruf anstreben]. Tudomanyos Gytijtemény [Wissenschaftliche Sammlung], 1829, Heft 11, S.
3-18, hier 12-15); 6. Soproni Fidler, Ferenc, (Versei, 1836, S. 84-87); 7. Szenvey, Jözsef (Au¬
röra, Neue Folge, 1837, Bd. 6, S. 305-308.)

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