OCR
DIE FRIEDENSBOTSCHAET DES MIKLÓS RADNÓTI — DEUTSCH Strophenstruktur dieser Refrain die Temporalkette nun jeweils abschlieft, wenn die ersten beiden Strophen, in denen der ungarische Dichter persönlich angesprochen wird, auch manche helleren Farben nachempfinden lassen. Das ganze Gedicht von Reinhart Heinrich ist nämlich erneut von Ängsten vor Kriegen und „metallnen Diktaturen“ sowie von Sorgen um die Zukunft der Menschheit getragen und schließlich, jede hellere Sicht des Anfangs eliminierend, „von ungelösten Träumen hart umstellt“. In seiner Grundtendenz öffnet sich Reinhart Heinrichs poetisches Gebilde der Friedenssehnsucht und den Harmonieidealen von Radnöti, wenn dies — bedingt durch die individuelle Sicht des Lyrikers, gewiss auch durch die neuen allgemein um sich greifenden Illusionsverluste der neunzehnhundertsiebziger Jahre — auch mit einer der Radnöti’schen Diktion fremden Ironie ihren poetischen Ausdruck findet: Da es inzwischen unserem Talente gelungen ist, die Kräfte zu entfalten, die es ermöglichen, die Kontinente in kleine Stücke zu zerspalten, da unsre Bomben schön wie Sonnen werden, zu dieser Zeit leb ich auf Erden. Ein neues Verständnis der Friedensbotschaft des ungarischen Dichters drängt sich einem besonders seit dem hervorragenden deutschen Dokumentarfilm der Gruppe „Effekt“ von 1984 auf,°° der, getragen von der unvergleichlichen Radnöti-Nachdichtung von Richard Pietraß mit dem Titel Friede, Entsetzen,°° grundsätzlich neue, ja man dürfte auch sagen modernere Maßstäbe für die Aufnahme Radnoti’scher Friedensstrukturen setzte. In diesem kleinen Meisterwerk, einem Gedicht mit nur neun Versen, wurde der für die Radnöti-Lyrik so typische thematische Gegensatz gänzlich umfunktioniert. Das Gedicht entstand bereits kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Der Dichter lässt darin die erschütternde Vorahnung kommender Entsetzen nachempfinden. Die Vision des Untergangs steigt mitten im Gedicht mit Schattenbildern künftiger Bombardements auf. Sie erscheint im letzten Augenblick des nur noch zum Scheinbaren verdünnten, nur noch von der sachlich genauen und wiederholten Zeitangabe aufgehaltenen Friedens. Die unerhörte Spannung des Gedichts kommt in der deutschen Übersetzung von Richard Pietraß besonders stark zum Ausdruck: 55 Radnöti. Produktion im DEFA-Studio für Dokumentarfilme der Gruppe „Effekt“, 1984. Szenarium v. Günter Rücker. Regie v. Eduard Schreiber. Dramaturgie v. Richard Ritterbusch. Kamera v. Sándor Kardos. Deutsche Nachdichtungen v. Franz Fühmann und Richard Pietraß. 56 Radnöti, Miklös: Friede, Entsetzen. Übs. v. Richard Pietraß. In: Ungarische Lyrik des zwanzigsten Jahrhunderts, S. 196. + 263 +