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DER NACHGEDICHTETE NACHDICHTER — ÁRPÁD TÓTH DEUTSCH

Nichts dergleichen ist in dem Árpád Tóth-Gedicht In tauber Stunde (entstan¬
den im Gründungsjahr der Zeitschrift Nyugat) nachzuempfinden. Es ist die
absolute Perspektivlosigkeit in nuce, eine Miniatur von nur neun Versen, wel¬
che die vollkommenste Resigniertheit, die es überhaupt geben kann, verdich¬
ten und gleichzeitig durch und durch von Pausen und bis zum Stocken ver¬
langsamten zweisilbigen Kurzversen gebrochen sind. Die durchwegs
Ich-bezogenen Wortbrocken wie eingangs das ,,einsam“, am Anfang und am
Ende das nachdrücklich wiederholte „allein“ sowie das unmittelbar vor dem
Ausklang schrill hervorstechende ,,Ich nur“ (ung. En, én) korrespondieren mit
der äußerlich bildlichen Erscheinung der „schmalen grämlichen Figur“ und
ihrer „langsamen Träne“. Ausgeschlossen aus diesem unüberwindbaren Kerker
des Ichs bleibt alles Gegenständliche. Nichts von Beziehungen dazu hat selbst
das nahestehendste, der „Tisch“ mit „Wachstuch“ gedeckt, an dem das Gedicht
entsteht. Vergegenständlicht wird selbst die für völlig sinnlos hingestellte
schöpferische Tätigkeit des Dichters, die minutiöse Kleinarbeit am Lied: „Da
fingert sich ein Lied im Eck.“ Der große Unterschied zu allen vorhin zitierten
lyrischen Einsamkeitsprodukten des modernen Missverhältnisses zwischen
Individuum und Gesellschaft konstituiert sich im Ärpäd-Töth-Gedicht gerade
darin, dass zwischen gegenständlicher Welt und Ich, dem Objekt und dem
Subjekt, weniger die Spannungen, eher nur unendliche Entfernungen nach¬
weisbar sind, mag es dabei um die sachlich artikulierte Beziehungslosigkeit
zum nahestehenden wachstuchbedeckten Tisch, zum eigenen vergegenständ¬
lichten Kunstprodukt oder eben um die weite „Erdenflur“ gehen:

In tauber Stunde?

Einsam bin ich

Allein.

Langsam die Träne rinnt —

Ich wein.

Mit weißem Wachstuch ist mein Tisch gedeckt.
Da fingert sich ein Lied im Eck

Die schmale grämliche Figur —

Ich nur.

Allein bin ich auf weiter Erdenflur.

Stimmung und Gehaltsgrundlagen sind ganz ähnlich in dem ein Jahr später
entstandenen, allerdings strophisch gegliederten Gedicht In einem kleinen

3 Töth, Ärpäd: In tauber Stunde [Meddö örän]. Übers. v. Brigitte Struzyk. In: A. T.: Abendlicher
Strahlenkranz. Hg. v. Gäbor Hajnal u. Paul Kärpäti. Nachwort und Interlinearübersetzungen
aus dem Ungarischen v. Paul Kärpäti. [Budapest:] Corvina, 1987, S. 6.

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