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MARGINALIEN IN EINEM GEDICHTBAND
VON JANOS KIS!

Der Forscher, der heute im Fachgebiet Hungarologie der Humboldt-Univer¬
sität nach nachgelassenen Schriften des Begründers des ehemaligen unga¬
rischen Instituts sucht, wird mit Enttäuschung feststellen müssen, dass er
keinerlei Spuren der vielzitierten Selbstbiographie? oder der bekanntlich um¬
fangreichen Korrespondenz Robert Graggers nachweisen kann. Aber auch die
leicht zugänglichen sonstigen Zeugnisse seiner wissenschaftlichen und orga¬
nisatorischen Tätigkeit stehen bei allen ihren Werten zumindest quantitativ
in keinem Verhältnis zur kulturhistorischen Bedeutung des Berliner Jahrzehnts
(1916-1926). Die gesammelten Gragger-Manuskripte der Bibliothek bestehen
lediglich aus den wenigen Seminararbeiten (unter dem Titel Szemindriumi
dolgozataim) der Budapester Studienzeit zwischen 1905 und 1909 sowie man¬
chen öffentlichen Vorträgen vorwiegend populärwissenschaftlichen Charak¬
ters, von denen wir einige in den folgenden Heften der Beiträge zu veröffent¬
lichen beabsichtigen.’

Die von Gragger begründete, jahrelang betreute und ständig erweiterte
Bibliothek, der auch die Bände der umfangreichen eigenen Bibliothek zuflossen,
verspricht allerdings — auch was Gragger-Handschriften betrifft - noch man¬
che interessante Entdeckung. Diese Vermutung erhärten die von mir vor
kurzem identifizierten Marginalien Graggers im ungarischen Gedichtband
von Jänos Kis,* der laut Bibliotheksverzeichnis im Januar 1923 für die „Biblio¬
thek des Ungarischen Instituts an der Univ. Berlin“ erworben wurde.’

Die Dichtung von Jänos Kis musste Gragger aus mehreren Gründen sehr
stark anziehen, war doch das zentrale Forschungsthema für ihn seit jeher die Er¬
schließung der deutsch-ungarischen Wechselbeziehungen, wobei er bereits 1914
in der Einleitung zur geplanten Geschichte der deutschen Literatur in Ungarn"

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Ursprünglich erschienen in BBH. Berlin / Budapest: 1987, Bd. 2, S. 187-197.

Vgl. Becker, Carl Heinrich: Robert Gragger. In: Ungarische Jahrbücher, 1927, Bd. 7, S. 6-7.
Geplant war 1987, zur Zeit der Erscheinung dieser Marginalien die Veröffentlichung folgender
Gragger-Vorträge: 1. „Kulturwerte Ungarns für Deutschland“. Gehalten im Literarischen Ver¬
ein zu Dresden, 20. 3. 1917; 2. „Die jüngste ungarische Dichtung“. Gehalten in der Deutschen
Gesellschaft am 15. 12. 1919; 3. „Die ungarische Volkskunst“. Gehalten im Deutschen Lyze¬
um-Club am 17. 2. 1922. Vgl. dazu die „Liste der v. Paul Kärpäti kommentiert veröffentlichten
Manuskripte“, Siehe S. 204 ff.

Kis János poetai munkái [Poetische Werke v. Janos Kis]. Hg. v. Ferenc Toldy. Pest: Hartleben,
1865, 462 Sp.

Signatur 244/Kis-I-3.

Robert Gragger: Geschichte der deutschen Literatur in Ungarn von Maria Theresia bis zur
Gegenwart. I. Vormarz. In: Deutsch-Osterreichische Literaturgeschichte II/1. Wien / Leipzig:
Carl Fromme, 1914, S. 6.

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