VERSUCH EINES PORTRATS DES ROBERT GRAGGER
kulturellen Wechselbeziehungen und die damit verbundene kulturhistorische
Grundlagenforschung hielt: ,,Vor allem“ — schrieb er — ,,bildet die Durchfor¬
schung der Beziehungen zur deutschen Literatur, zum deutschen Geistesleben
ein Hauptthema der literatur- und geistesgeschichtlichen Untersuchungen“.**
Das heißt, Gragger wusste genau, dass die höchste Effektivität seiner Arbeit an
der Berliner Universität dank der greifbar nahe liegenden Zugänge zu Werten
und Akteuren der deutschen Kultur nur mit einer an den deutschen Aspekten
orientierten Hungarologie zu erreichen war. Ihre Effektivität versteht sich
daher in Berlin sowohl als potenzieller wissenschaftlicher Ertrag deutsch-unga¬
rischer Komparatistik wie auch als bestmögliche wissenschaftliche Ausstrah¬
lung dieser angewandten Hungarologie in die deutsche Umgebung.
Diesen grundsätzlichen Zielen Graggers dienten die zwischen 1919 und
1926 veröffentlichten 19 Bände der Ungarischen Bibliothek für das Ungarische
Institut an der Universität Berlin, die ab 1921 periodisch erschienenen Unga¬
rischen Jahrbücher, die sich zu dem bedeutendsten Organ des ganzen For¬
schungsgebietes entwickelten, die drei Bände der Bibliographia Hungariae mit
der Bibliographie der im Ausland über Ungarn verfassten Werke, außerdem
die Anthologia Hungarica, aber auch Editionen wie eine deutsche Petöfi-Aus¬
wahl, die deutsch erschienenen ungarischen Balladen sowie die altungarischen
Erzählungen mit Texten aus dem ungarischen Mittelalter bis zur Mitte des
13. Jahrhunderts. Hinzu kamen die ebenfalls in deutscher Sprache geschrie¬
benen ausführlichen Charakteristiken seiner ehemaligen Lehrer, so die über
Frigyes Riedl, Gusztäv Heinrich und Zsolt Beöthy sowie Aufsätze tiber Sandor
Petőfi, István Széchenyi, Mór Jókai u. a.
TAGESPOLITISCHER EXKURS: ROBERT GRAGGERS
BERLINER KOSSUTH-BROSCHÜRE
Seinem kontemplativen Europáertum waren eigentlich tagespolitische Stel¬
lungnahmen fremd. Doch wusste er, der sein ganzes Leben auf die Volker
verbindenden Ideen der Kultur setzte, in den anderthalb Jahren nach Kriegs¬
ende®, als Nationalitätenspannungen die Völker der Donauländer mit einer
nie erlebten Intensität bedrohten, das Bestmögliche, was bis dahin über mög¬
liche Ziele und gemeinsame Interessen dieser Völker geschrieben wurde, aus
der Vergangenheit hervorzuheben und herauszugeben. So erschien 1919 in
Berlin unter seiner Edition Die Donau-Konföderation. Ludwig Kossuths Plan
zur Lösung des Donau-Staaten-Problems.*
38 Ebd., „Forschungstätigkeit“, S. 3.
3° Fiir Osterreich-Ungarn am 3. 11. 1918
#0 Gragger, Robert Prof. Dr.: Die Donau-Konföderation. Ludwig Kossuths Plan zur Lösung des
Donau-Staaten-Problems. Berlin: Verlag von Hans Robert Engelmann, 1919, 24 S.