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VERSUCH EINES PORTRATS DES ROBERT GRAGGER dass Robert Gragger schließlich eine der herausragendsten Erscheinungen in jener ansehnlichen Reihe der Ungarndeutschen bzw. der Deutschungarn wurde (die Entscheidung für das eine oder das andere sei hier ausgeklammert), die vom ausgehenden 18. Jahrhundert an, etwa von Jacob Glatz und Karl Georg Rumy über Ferenc Toldy (ursprünglich: Schedel), Käroly Kertbeny (ursprünglich: Benkert) u. a. bis zu unserer Gegenwart ihr ganzes Leben oder zumindest einen großen Teil ihrer Aktivitäten für die beiderseitige Vermittlung der Werte ungarischer und deutscher Kultur einsetzten. Das Piaristengymnasium Wichtige Anstöße dazu erhielt Gragger schon in den acht Jahren des Piaristengymnasiums in Nyitra (deutsch: Neutra; slowakisch: Nitra). Diese hervorragende Schule weckte nicht nur sein Interesse für die Wissenschaften im Allgemeinen und ermöglichte ihm letzten Endes, sich aufgrund seiner besonderen Begabung für die Literaturwissenschaft zu entscheiden, sondern förderte auch die besten Eigenschaften seiner Persönlichkeit. Sätze aus der als Ganzes wahrscheinlich verloren gegangenen und nur in wenigen Zitaten erhalten gebliebenen Autobiographie belegen eindeutig diese maßgebende Bedeutung des Neutraer Gymnasiums für die Entwicklung seines Charakters sowie für das Bewusstwerden seiner Talente. Er schrieb: Seit meiner Gymnasiastenzeit war es meine Überzeugung, dass man alles durchsetzen kann, was man will, wenn es nur gut ist und niemandem schadet, wenn es nicht aus Eigennutz, sondern einer Idee zuliebe geschieht. Auch haben mich Beispiele früh gelehrt, dass man in seiner Jugend eine große Idee fassen und sich in deren Dienst stellen muss, um sie wirksam und ganz durchsetzen zu können.'? Bereits damals entschied er sich auch für die grundlegende Richtung seiner späteren wissenschaftlichen Tätigkeit: „Nun war ich davon überzeugt, dass es die Geisteswissenschaften — und namentlich die Literaturen sind, denen ich mich endgültig zuwenden müsste.“ Und auf die Frage „welcher Literatur sollte ich mich nun zuwenden, nach welcher Richtung sollte ich mich orientieren?“ gab er die Antwort: „Die lebhafte Fähigkeit der Assoziation, eine entschieden nach dem Synthetischen gerichtete Geistestätigkeit führte mich immer wieder zur Vergleichung ...“ Die Entscheidung für die Richtung seiner späteren wissenschaftlichen Laufbahn war also bereits dem Abiturienten klar: Nicht ausschließlich diese oder jene Literatur, sondern „Vergleichung‘“, d.h. Komparatistik. 12 Gragger-Zitate aus der verlorenen Selbstbiographie erhalten geblieben in: Becker, Carl Heinrich: Robert Gragger. In: Ungarische Jahrbücher, 1927, Bd. 7, S. 6-7. + 177 +