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LÁSZLÓ TARNÓI: SCHNITTPUNKTE. STUDIEN ZUR GERMANISTIK UND HUNGAROLOGIE Ganz im Gegensatz dazu kommentierte Schiller seine Hinwendung zur Antike kurz nach der Veröffentlichung der ersten Fassung der Götter Griechenlands? und damit die Antike-Rezeption noch vor den welthistorischen Ereignissen in Frankreich in einem Brief an Körner nicht mit der Flucht vom Leben, sondern mit dem sinnvollen Zurückfinden zum harmonisch ausgeglichenen Leben, wie sie in der Klassizismus-Theorie der Aufklärung seit dem berühmten Aufsatz von Johann Joachim Winckelmann°® vertreten war. In dem Schiller-Brief an Körner am 20. August 1788 hieß es noch: In den Nächsten 2 Jahren, habe ich mir vorgenommen, lese ich keine moderne Schriftsteller mehr. [...] Keiner thut mir wohl; jeder führt mich von mir selbst ab, und die Alten geben mir jetzt wahre Genüsse. Zugleich bedarf ich ihrer im höchsten Grade, um meinen eigenen Geschmack zu reinigen, der sich durch Spitzfündigkeit, Künstlichkeit und Witzelei sehr von der wahren Simplizität zu entfernen anfing. Du wirst finden daß mir ein vertrauter Umgang mit den Alten äußerst wohltun - vielleicht Klassizität geben wird.” Es gibt dagegen nach 1800 kaum mehr einen Unterschied zwischen der romantischen Hinwendung zum Mittelalter und der modernen Antike-Rezeption, wenn z. B. Achim von Arnim bei der Begegnung der toten, doch ewig lebendig wirkenden Venus-Statue seine fieberhaft pulsierenden Worte zwischen Angst, erotischem Zauber und der Begeisterung für die Schönheit allmählich in Lexeme christlich-religiöser Andacht®® hinüberführt. Mir zittern die Glieder; Die Hände sie gleiten Hier fühle ich Säulen, An rundlichen Gliedern Hier will ich verweilen. Die Brust muß sich weiten, Ich fühle umher, Dem Tode verbrüdern! Wer atmet so schwer? Was liegt hier gestrecket, Ich fühle Gestalt Vom tödlichen Stahl, So schauerlich kalt, Daß nimmer ihn wecket Durch Sturm und durch Regen Der blitzende Strahl? [...] Die marmornen Glieder 35 Schiller, Friedrich: „Die Götter Griechenlands“. Ebd., Bd. 1, S. 184-190. »* Winckelmann, Johann Joachim: Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst. In: Johann Joachim Winckelmann: Werke in einem Band. Berlin / Weimar: Aufbau-Verlag, 1969, S. 1-37. (= BdK) ” Friedrich Schiller an Körner, Rudolstadt, den 20. August 1788. In: Schillers Briefe in zwei Bänden. Berlin / Weimar: Aufbau-Verlag, 1968, Bd. 1, S. 197. (= BdK) 38 Im folgenden Zitat jeweils kursiv hervorgehoben.