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Du HAST FUR UNS DAS RECHTE MASS GETROFFEN

gesteigert wurde." Dagegen stellte die 1776 geschriebene Allegorie Vergan¬
genes und Gegenwärtiges einander gegenüber, wobei die Darstellung des Ver¬
gangenen eigentlich die Distanzierung des Dichters von der unproduktiven
Wartezeit der von geistiger Isolation geprägten Jahre in Frankfurt nachemp¬
finden ließ:

Lange Tag’ und Nächte stand mein Schiff befrachtet;
Günst’ger Winde harrend, saß mit treuen Freunden,
Mir Geduld und guten Mut erzechend,

Ich im Hafen.

Und sie waren doppelt ungeduldig [...]*

Andererseits demonstrierten aber die Bilder der Gegenwart seine bewusste
Entscheidung für das klug berechnete Maßhalten in der praktischen Verhal¬
tensweise im wirklichen Leben. Dabei hätten vorerst nach den Metaphern der
Seefahrt scheinbar noch nicht die früheren Ideen, sondern nur die frühere
Einstellung zu ihrer Realisierung verändert werden müssen. Goethe veran¬
schaulichte in dem Zusammenhang seine Position folgendermaßen: Er sei zwar
durch „gottgesandte Wechselwinde“ von „der vorgesteckten Fahrt“ abgetrieben
gewesen, aber er „Strebet leise sie zu überlisten, / Treu dem Zweck, auch auf
dem schiefen Wege.“

Damit versuchte Goethe der neuen Taktik, die den neuen Verhältnissen in
Weimar hätte gerecht werden sollen, bei einer unveränderten Strategie einen
poetischen Ausdruck zu geben. Dieser Gedanke musste für Goethe als Recht¬
fertigung seiner höfischen Existenz eine außerordentlich große Bedeutung
gehabt haben. Deshalb wurde die neue, den Resultaten des ersten Jahres zu¬
geschriebene Haltung wiederholt in diesem Sinne geschildert. So ist z. B. in
dem nächsten Absatz, als der Sturm kommt, Folgendes zu lesen:

[...] Vor seinem starren Wüten

Streckt der Schiffer klug die Segel nieder.
Mit dem angsterfüllten Balle spielen
Wind und Wellen.

Aus dieser These folgten aber nicht nur „taktische“ Normveränderungen,
sondern auch solche Konsequenzen, die selbst das Wesen des Verhältnisses

#7” Goethe, Berliner Ausgabe, Bd. 2, S. 582. Die eingehende Besprechung dieses Gedichts siehe
im Kap. „Wege. Ein Essay“, Weiteres dazu im Kap. „Goethes An Schwager Kronos in einer
Adaptation von 1800“.

48 Ebd., Bd. 1, S. 324 f. (Hervorhebungen L. T.)

19 Vgl. dazu in diesem Band S. 310-313.

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