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4. EIN MERKWÜRDIGER UNGARNBERICHT VON 1803

Schriftsteller höchst einseitige, abgeschmackte Begriffe von Ungarn und dessen
Bewohner hegen. Man denkt sich den Boden und das Klima dieses Landes als ein
Analogon vom Schlaraffenlande, und weist dem Magyar" seinen Standpunkt in
der Völkerordnung dicht neben dem Türken oder Kosaken an. Ja, vielleicht glaubt
mancher, der von der Ursprungsverwandtschaft des Magyar’s mit den Finnen
las, daß beyde noch auf eben derselben Stufe der Rohheit zusammenstehen. Und
endlich herrscht nun bey unsern westlichen Nachbarn das Vorurtheil, daß der
Ungar schon wegen seiner Abgelegenheit von ihnen, gegen die kulturlose Türkey
hin, — wegen seiner eigenthümlichen, mit keiner andern gebildeten, verwandten
Sprache, wegen seiner schlichten Sitten, natürlichen Jovialität, besondern Tracht
u. s. f. durchaus nicht mit den Nationen verglichen werden könne, die sich in
Ansehung des konventionellen Lebens und des wissenschaftlichen Verkehrs auf
einen gewissen gemeinschaftlichen Fuß gesetzt haben [...] sie wiederholen auch bis
zum Ekel immer und immer dasselbe: der Magyar müsse noch lange den Berg zum

Sitz der Kultur hinanklimmen, bis er eine namhafte Region darauf erreichen wird.

Wesentlich differenzierter fiel das Gegenbild zu den ausländischen Ungarn¬
Klischees aus, das vom Verfasser der „Charakteristiken“ über seine magya¬
rischen Landsleute skizziert wurde:

Es ist ein Hauptzug in dem Charakter des Magyar’s, sich hartnäckig gegen alle
Neuerungen zu sträuben, wenn sie ihm durch fremde Autorität aufgedrungen
werden und seine Originalität antasten. Diese Widersetzlichkeit geht bey den
niedern und mittlern Ständen, und überhaupt bey allen, die der Zauber des feinern
Luxus noch nicht betäubt hat, so weit daß sie aus Besorgniß eines versteckten
höheren Verlustes selbst den leisesten Angriff auf ihre Sitten und Gewohnheiten
zurückschlagen, wenn er nicht durch den Nachdruck der überlegenen Gewalt
unterstützt, oder (wie gewöhnlich) von der List maskirt wird. Allerdings ist dieser
Eigensinn des Magyar’s [...] bey weitem nicht bloßer blinder Nationalstolz, und
documentirt zugleich einige der seltensten Tugenden dieses Sohnes der Natur: seine
Festigkeit und Zuverlässigkeit, seine Geradheit und Ehrlichkeit, seinen Biedersinn,
Tugenden, die man gern im Geiste des edlen Rousseau, selbst mit Aufopferung
der bunten Flitterschätze unserer Zeiten, aus der Vorwelt hervorholen und den
Völkern der erlauchten Aufklärung anpreisen möchte.

Es besteht auch kein Zweifel daran, dass der Verfasser ein ansehnlicher
Intellektueller der zeitgenössischen ungarländischen Elite war. Dank
seiner eminenten Bildung, seiner umfassenden Kenntnisse und der vielen
ausführlichen Berichte, lieferte er nicht nur seinen Zeitgenossen in Deutsch¬

* Fußnote des Verfassers der Merkur-Studie: „Der Ur-Ungar, oder eigentlich in statistischer

Hinsicht der Stamm unsers Staates [...]“, ebd.

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