XI. DER NEVE TEUTSCHE MERKUR ALS QUELLE...
4. EIN MERKWÜRDIGER UNGARNBERICHT VON 1803
Schon mit dem eigenartigen Titel „Ueber den Charakter der drey
Hauptnationen Ungarns und den Zustand der dasigen Literatur“ wich dieser
eigenartige Bericht von den vielen immer wieder in ähnlicher Weise variierten
Überschriften der „(Fortgesetzten) (Korrespondenz) Nachrichten über
Ungarns Literatur und Kultur“ ab. Er ist zudem der umfangreichste unter
allen anderen und erschien deswegen auch als einziger dieser Art im Jahre
1803 in zwei Teilen, im Oktober- und Novemberheft des Merkurs.% Dem
Inhalt nach vermittelte er den deutschen Lesern allerdings wie alle anderen
Ungarnartikel vor allem wichtige Kenntnisse über Ungarn, über die deutsch¬
ungarischen Beziehungen, insbesondere über die Erfolge auf allen Gebieten
der Wissenschaften,’ der Kunst,?” des Schulunterrichts® usw. und darüber
hinaus über die Eigenheiten der ungarischen Sprache und Literatur.
Ein besonderes Interesse verdient dabei die entschiedene Kritik an den
Ungarn-Klischees der Ausländer. Die Worte, mit denen der außerordentliche
Aufsatz anhebt, widerspiegeln mit einer überraschenden Deutlichkeit
gleich drei der von mir vor zwei Jahrzehnten vorgestellten fünf typischen
Ungarnbilder der Deutschen.° Es ist erstaunlich, wie diese drei Klischees
in der kritischen Einleitung des Merkur-Berichts miteinander verbunden
werden:*
Mein mehrjähriger Aufenthalt in Teutschland ließ mich es erfahren, daß [...]
auch manche Männer mit sonst geläuterten Einsichten, und sogar geographische
[- -]: Über den Charakter der drey Hauptnationen Ungarns und den Zustand der dasigen
Literatur, NTM, 1803, H. 10, S. 433-458 u. H. 11, S. 516-526. Starnes, Prosa-Artikel, S. 236,
Nr. 1306. Siehe auch Deutschsprachige Texte aus Ungarn, Bd. 3, S. 164-178.
Siehe dazu ebenda die beeindruckenden Charakteristiken v. D. Görög, J. Märton, u.J. Csäszär,
die Würdigung der sprachwissenschaftlichen Werke v. P. Beregszäszi u. D. Gyarmathi.
NTM, 1803, H. 10, S. 446-449. In: Deutschsprachige Texte aus Ungarn, Bd. 3, S. 169-171.
Siehe dazu die Aufzählung - wie es da heißt — „der vorzüglichsten Dichter, von denen
die meisten noch leben [...] Virág, Csokonay, Mattyási, Versegi, Kováts, Gvadányi, Faludi,
Gyöngyösi, Kiss, Horváth, Kazinczy, Földi, Szabó, Barbara Molnár [...] lauter Namen, die
sich in dem dankbaren Andenken jedes Verehrers der Musen unter uns verewigt haben und
jeder Nation Ehre machen müßten“. Anschließend wurden auch ungarische Kupferstecher,
Musiker und Zeitungen gewürdigt. NTM, 1803, H. 10, S. 442-445. In: Deutschsprachige
Texte aus Ungarn, Bd. 3, S. 168 f.
Das besondere Interesse und die vorzügliche Achtung des Verfassers galten dabei den
Kollegien von Debrecen und Särospatak. NTM, 1803, H. 10, S. 458. In: Deutschsprachige
Texte aus Ungarn, Bd. 3, S. 173.
Demnach sei das Land bewundernswürdig reich und der Boden fruchtbar [Schema 3], die
Menschen aber seien etwas roh verwildert, mehr oder weniger zurückgeblieben [Schema
4]. Sie bedürften der sorgfältigen Bildung bzw. der umsichtigen Verbreitung der höheren
geistigen, moralischen und wirtschaftlichen Kultiviertheit der Deutschen und/oder deren
Hilfe [Schema 5] Siehe darüber mehr im Kap. XII.
40 NTM, 1803, H. 10, S. 433 f. In: Deutschsprachige Texte aus Ungarn, Bd. 3, S. 164 f.