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4. LUSTIGE BERICHTE EINES TÖLPELS AUS DEM ALTEN PEST-OFEN IN BRIEFEN

Drucke bedurfte bereits eines unvergleichbar breiteren Konsumentenkreises
als des unbeträchtlichen „Ischepeleter Publikums“. Noch wichtiger ist aber
in diesem Zusammenhang, dass ein bäuerliches Publikum von Tschepel
weder dem eigentlichen Inhalt noch der sonderbaren Art dieser merkwürdig
grotesken Erzählweise jenes Verständnis und Interesse hätte entgegenbringen
können wie der Pest-Ofener Großstadtbewohner, der mit den thematischen
Details der Brieferzählung von vornherein auf das engste vertraut sein
musste.

Gewiss hätte aber in der Wirklichkeit auch kein ungebildeter Naturtalent
seine eigene Unkultiviertheit mit so überzeugenden künstlichen Raffinessen
nachempfinden lassen können, wie dies dem unbekannten Autor durch die
unpolierte „Tschepeleter“ deutschen Regionalsprache (mit ausgewählten
komischen Effekten des Dialektalen) sowie der verdrehten Fremdwörter eines
halbgebildeten Lateiners und schließlich einer haarsträubend inkonsequenten
Orthographie gelang. Dabei malte er gleichzeitig sonderbar großflächige
Fresken von der Mode, der Mentalität, der Wohn- und Freizeitkultur,
mit einem Wort des Alltags der mittleren und der niederen Schichten im
alten Pest-Ofen - allerdings alles aus dem eigenartigen Blickwinkel seiner
Tölpelfigur gesehen und jeweils mit recht grellen Farben und entstellter
Durchzeichnung sämtlicher Einzelheiten.

Das Dialektale veranschaulichte um 1800 bei dem damals bereits erreichten
verhältnismäßig hohen deutschsprachigen Schreib- und Leseniveau der
deutschen Belletristik in- und außerhalb des Königreichs recht oft Züge von
Charakteren niederer sozialer Herkunft bzw. niedrigen Bildungsstandards.
(Von manchen Autoren wurden zu diesem Zweck des Öfteren in den
jeweiligen „schlechten“ deutschen Text bezeichnenderweise hin und wieder
auch ungarische Wörter und Ausdrücke eingesetzt.*)

Dies tat auch die freie, man könnte wohl behaupten regellose Handhabung
der Orthographie der Rachschiml-Briefe. Wenn die Rechtschreibung auch in
den übrigen deutschsprachigen Drucken um 1800 noch nicht als völlig
einheitlich angesehen werden kann, erfolgte bereits seit den letzten Jahr¬
zehnten des 18. Jahrhunderts in zunehmendem Maße die Tendenz zur
Vereinheitlichung, und wenigstens schuf man damals im Falle aller
anspruchsvolleren Ausgaben größtenteils wenigstens die verhältnismäßige

a Siehe z. B. im anonymen Heubauer-Lied „Gutya lantzos wollt mir sogen / Wann so ’s
Weibsbild sich that trogen* [- —]: Heubauer-Lied. In: Lieder der Liebe, der Freude, und des
Vergniigens. 4. Aufl. Pest: Joseph Leyrer, 1817, S. 30 f. In: Deutschsprachige Texte aus Ungarn,
Bd. 1, S. 316 f. Siehe auch Duett des Pipi und Krambamboli. In: Hensler, Karl Friedrich: Der
Teufelstein in Mödlingen. Darin heißt es u. a.: „Ick Magyarember bin erlicke Mann |[...]
Ihr seyd bizony ördeg adta“. In: Theatralisches Liederbuch oder Sammlung der beliebtesten
Arien, Duetten, Terzetten, Quartetten etc. aus Deutschlands vorzüglichsten Opern. Allen
Theaterfreunden gewidmet. Pesth: Joseph Leyrer, 1810, S. 286. In: Deutschsprachige Texte
aus Ungarn, Bd. 1, S. 152 £.

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