4. LUSTIGE BERICHTE EINES TÖLPELS AUS DEM ALTEN PEST-OFEN IN BRIEFEN
die Nocht zu uns, der ist an bilesener Mensch, wall er sein Suhn dos Hondweark
übergeben hot, so geth er nochn Essn ollito ins Koffehaus Zeiting lesen, un do
sogt er, solls in der Hamburger gstonten seyn, dass die Franzosen durch ollerhond
Luftmaschiner etli dreimohlhunderttausend Mann mit trocknen Fuiß nach
Englond übers Mihr übri trogen lossen wollen, und do werden sich die Engländer
ihner Wasserfohrerei schier vergehn lossen; der Vetter wird sich goar koan Ideh
mochen kinnen von dem Gspoas, ich verstehs ober schon, denn ich hobs studirt,
do hoben mir an Buich ghobt, wo hinten an Fleck Papir ausserghengt ist, und do
woars aufzoachneter drin, wia an gonzi Mengi in Mond aufi Kirfiaten foahren.?”
Sensationelle Nachrichten aus aller Welt wurden auf diese Art laufend kom¬
mentiert, vorzüglich aber solche, welche die deutschsprachige Bevölkerung
von Pest-Ofen doch etwas näher angingen, wie z. B. die Nachricht von den
auf der Donau verunglückten schwäbischen Neusiedlern, die sich wie ein
Lauffeuer in der ganzen Stadt verbreitete. Merkwürdig ist es allerdings,
wie sich die deutschen Stadtbürger des Königreichs (eigentlich allesamt
eingewanderte Deutsche oder deren Nachkommen) in diesen Gesprächen
von den ertrunkenen Neusiedlern distanzierten. Ob es dabei um tatsächliche
Spannungen zwischen den verschiedenen Einwanderer-Generationen ging
oder irgendeine Art Antipathie der Pest-Ofner Bürger gegen die Schwaben
diese ihre Einstellung motivierte, möchte ich hier offen lassen. Jedenfalls
fühlte sich der Zeuge Michael Rachschiml (laut Vorwort war er ja selber ein
Schwabe) in der gehässigen Stadtatmosphäre trotz seines Mitgefühls für
die verunglückten Landsleute sogar gezwungen, seine eigene schwäbische
Herkunft zu verschweigen. In seinem Bericht lautet dies folgendermaßen:
Nochhr bin ich zu der Brucken obi gonger, do hot an dicker Herr derzählt,
dass an Schif mit Schwobn bei Fischament zgrund gongen ist, bis ich bin aufn
Festungsbearg kummen, sand schon zwa Schif weck gwest, und wia ih in die
Festung kummen bin, so hot schon ghoassen, dass drei untergongen und 1200
Schwoben austrenkt sand wurden, do ist wider wos gschimpft wurden über de
oarmen Leit, de sand richtig nit wearth gweßt, hots ghoassen, dass sie nach Ungern
kummer wearn, denn an Schwob der an guader Wirth ist, [...] der wondert goar
nit aus; Ich hob müassen kuschn denn mein Herr Enl ist ach an aingwonderter
Schwob gwest, er woar ober ach richtig nix nutz, orbetn hot er goar nit wolln.?®
Beachtenswert sind auch jene Informationen der Rachschiml-Briefe, in denen
uns die gesellschaftliche Gliederung der „Städter“ aus zeitgenössischer Sicht
vermittelt wird. Unter kulturhistorischem Aspekt verdient dabei die soziale
37 5, Brief im ersten Heft, S. 21 f.
38 7, Brief, ebd., S. 31 f.