7. DAS DEUTSCHSPRACHIGE PEST-OFEN IM DIENSTE...
Die Schauspieler kamen von Franz Stöger bis Ludwig Barnay stets gerne
solcherart nationalen Erwartungen des deutschsprachigen Publikums im
alten Pest-Ofen entgegen. Als Ludwig Barnay z. B. am 7. Mai 1863 bei einem
Besuch in seiner Vaterstadt auf Wunsch der ehemaligen Kollegen in eine
Wohltätigkeitsvorstellung u. a. mit der Rezitation Des Sängers Fluch von
Ludwig Uhland eingesprungen ist, wechselte er im letzten Augenblick vor
dem Auftritt, hinter den „Coulissen“ seinen — wie es in den Erinnerungen
heißt - in Ungarn „verhassten Frack“ auf den „Attila“® des Schauspielers
Szika und — man hore hierzu Barnay wörtlich,
[...] als ich wenige Minuten darauf die Bühne betrat, um des deutschen Uhland
Ballade vorzutragen, wurde das ungarische Kleidungsstück mit einem Jubel
begrüßt, den meine Deklamation sicherlich niemals hervorgerufen hätte.
7. DAS DEUTSCHSPRACHIGE PEST-OFEN IM DIENSTE
DER ENTWICKLUNG DER UNGARISCHEN LITERATUR UND THEATERKULTUR
Um leider selbst unter Fachleuten heute noch kursierende Irrtümer
auszuräumen und zu berichtigen, sei hier auch darauf hingewiesen werden,
dass mit der Deutschsprachigkeit des Theaterlebens in Ungarn, (wie auch
mit der des Verlagswesens, des Büchermarkts, der periodischen Schriften
und der Almanachlyrik) auf keine Weise die Unterdrückung der ungarischen
Nation und deren Kultur beabsichtigt war (und schon gar nicht seitens des
ungardeutschen Bürgertums!).
Man schrieb und las in den urbanen Regionen des Königreichs um 1800
deutsch, weil ihre Lesewelt, d.h. die Konsumenten des geschriebenen Wortes,
vor allem aus deutschsprachigen Menschen bestand. Aber auch ein recht
großer Teil der an der Bücher- und Theaterkultur interessierten Adligen war
um 1800 deutschsprachig, nach dem Augenzeugenbericht von Ernst Moritz
Arndt vom August 1798 habe ihnen „die lange Gewohnheit“ (deutsch zu
sprechen) „ihre Muttersprache [...] fremd gemacht“.
Zur Zeit von Jahrmärkten, als die Bevölkerungszahl der hauptstädtischen
Region durch den Besuch von nicht ortsansässigen Menschen vorübergehend
anschwoll, was notwendigerweise zu Veränderungen in den Proportionen
der Sprachkenntnisse führte, versuchten zwar die Theaterleute hin und
wieder auch magyarische Adressaten anzusprechen, ohne dabei allerdings
68 Ungarische Verschnürjacke, Husarenjacke.
Barnay, Erinnerungen, Bd. 1, S. 80 £.
Arndt, Erinnerungen an Ungern, S. 294. In: Deutschsprachige Texte aus Ungarn, Bd. 3, S.
241. Fakten belegen, dass die ungarischen Frauen noch in den dreißiger Jahren vor allem
deutsch lasen. Siehe dazu Kap. IX/3, S. 208, 211.