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V. UNGARNDEUTSCHE HEIMAT- UND VATERLANDBILDER UM 1800

b) Johann Paul Köffinger

Ganz anders als die Dichterinnen in der westungarisch-österreichischen
Region wichen jene Deutschen von der allgemeinen Hungarus-Einstellung
ab, die zu der letzten Umsiedlergeneration gehörend erst um 1800 im
Königreich ihre Heimat zu finden versuchten. Die Norm dieser Deutschen
war nicht (oder nur selten) das Weder-Noch der Iherese Artner, sondern ganz
im Gegenteil eher das recht komplizierte, oft sogar von Identitátsstörungen
belastete Sowohl-Als auch: Ungarn war für sie noch fremd, gleichzeitig sollte
es aber auch bereits die neue, die Zweitheimat sein. Stellvertretend für alle
deutschen Neusiedler gedenken wir hier des zweifelsohne bedeutendsten
Ofner Dichters, des 1786 in Nürnberg geborenen Johann Paul Köffinger, der
seine medizinischen Studien in Pest nach der Jahrhundertwende beendete
und sich anschließend in Ofen für sein ganzes Leben niederließ. Laut seiner
Poesie schien für ihn offensichtlich der Zwiespalt zwischen Urheimat und
Wahlheimat das große Dilemma gewesen zu sein.

Trotzdem oder gerade darum schrieb damals außer ihm niemand so oftin
seiner Lyrik das Wort Heimat nieder wie er. Und wie nur bei ganz wenigen
verflechten sich in seinen Gedichten die Metaphern allgemeiner poetischer
Naturkulissen mit ortsgebundenen Umwelt-Requisiten der tatsächlich
erlebten Budaer Heimat, mit dem Blick vom Schlossberg auf die niedern
Hügel, die Rebenhöhen, die Weingärten, auf die Donau, mit der Darstellung
eines Sturmes über dem Schwabenberg oder der einsamen Ruhe im Auwinkel
(heute Zugliget). Und doch überzieht diese Bilder immer eine traurige
Stimmung. „Rückwärts flieht mein Blick“ — schrieb er in einem Gedicht,
die poetische Attitüde auch der meisten übrigen vermittelnd. Man befindet
sich in Buda, wenn eine Strophe an einer anderen Stelle seiner Lyrik mit den
resignierten Worten anhebt: „Einsam steh ich hier auf diesem Hügel“ und
dann später die Frage offen schweben lässt: „Ach, was soll, was kann ich hier
beginnen?“?”

Der Pilger, der (von Schillers 1805 entstandenem Pilgrim an) zu einer
Modefigur der deutschen romantischen Triviallyrik wurde, erhielt bei
Köffinger (trotz des unverkennbaren sogar rhythmisch-melodischen Hangs
an dem Schillerschen Urbild) wenigstens am Anfang des Gedichtes eine ganz
persönliche Note, indem er ausschließlich von seinem individuell erlebten
Dilemma folgende Worte niederschrieb:

36 Köffinger, Johann Paul: Die Erinnerung. In: K., J. P.: Gedichte. Pesth: Matthias Trattner,
1807, S. 40 ff. In: Deutschsprachige Texte aus Ungarn, Bd. 1, S. 173 f.

37 KOffinger, Johann Paul: Beim Eintritt in die Welt: In: ebd., S. 17-22. In: Deutschsprachige
Texte aus Ungarn, Bd. 1, S. 169 ff.

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