IV. ELEGIE AN MEIN VATERLAND...
Das Wenige, was zu diesen Versen die Literatur Deutschlands zu bieten
hatte, waren die empfindsamen Bilder der Gegenwart mit reichlich dahinflie¬
ßenden Tränen der Leiden, der Sehnsucht bzw. der wehmütigen und/oder der
herzerhebenden Erinnerungen,” wie man denen im letzten Pentameter des
Zitats begegnet, und wie diese in jener Zeit bis um 1840” auch die zeitgenös¬
sische ungarische und deutsche Dichtung im Königreich Ungarn überströmten.
4. NATIONALES ENGAGEMENT UND AUFKLARUNG
Die deutschsprachigen Dichter Deutschlands und Ungarns trennte um 1807
voneinander in hohem Maße auch die Tatsache, dass sich die Vertreter der
modernen Tendenzen der deutschen Literatur von der Zeit des ausgehenden
18. Jahrhunderts von der Ideenwelt der Aufklärung mit zunehmender
Entschiedenheit distanzierten. So unterschiedlich z. B. die deutschen
Romantiker nach ihrem jeweiligen individuellen und/odertendenzorientierten
geistigen Standort auch sein mochten, verband sie die Abwendung von
der Aufklärung in allen ihrer literarischen Entwicklungsphasen bis zu
den Vormärzjahren miteinander. Die Determinanten ihrer Aufklärungs¬
kritik involvierte dabei nicht nur ihre bissige Ironie gegen jede
Lebensweise nach puren Nützlichkeitsprinzipien bzw. gegen die philiströse
Beschränktheit undifferenzierten Denkens, sondern auch die Ablehnung
der Fortschrittsutopien paradiesischer Zustände in einem von Menschen
eingerichteten „goldenen Zeitalter“ Solche und ähnliche Vorstellungen
ihrer geistigen Vorgänger im 18. Jahrhundert wurden in Deutschland infolge
der kritischen Illusionsverluste der deutschen Intellektuellen nach der
Französischen Revolution und während der napoleonischen Kriege bereits
Jahr für Jahr in breiteren Kreisen für anachronistisch gehalten.
Rund zwanzig Jahre vor und vierzig Jahre nach dem Erscheinen der Elegie
war dagegen das markanteste gehaltstypologische Merkmal der Literatur
Ungarns geradezu die untrennbare Verbindung des patriotischen Engage¬
ments für den nationalen Aufstieg des „Vaterlandes“ mit Vorstellungen der
Aufklärungvom universalen „Fortschreiten“ der Menschheit „zurallgemeinen
Humanität“. Dementsprechend waren auch die Vergangenheitsbilder und
Zum Thema der zeitgenössischen sentimentalen Lyrik in Deutschland vgl. Tarnéi, Läszlé:
„Unterhaltungslyrik der »eleganten Welt« in den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts.“ In:
Impulse. Aufsätze, Quellen, Berichte zur deutschen Klassik und Romantik. Berlin / Weimar:
Aufbau-Verlag, 1982, S. 222-252. (= Impulse, Bd. 4).
Bis um 1840, d.h. bis zur Zeit der Anfänge der sog. volkstümlich-nationalen Entwicklungs¬
phase der ungarischen Literaturgeschichte.