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III. DIE DICHTUNG DER DEUTSCHSPRACHIGEN UNGARN UM 1800

und den Zürcher Professoren. Die ohne Zweifel rational überzeugenden Zehn
Gebote wurden allerdings von der daran angeschlossenen gattungsgerecht kurz
und bündig erzählten Fabel mit dem Schlangenvergleich aus dem Talmud unter
dem Titel Die Schlange und die Verleumdung” poetisch weit übertroffen. Für
die Verleumdung, diese mit dem Wielandwort „Lieblingssünde der Menschen”
schien nach dem Dichter deren viel zu kurze Interpretation in der 70. Strophe des
langen Lehrgedichtes nicht ausreichend gewesen zu sein. In diesem Sinne wollte
Markus Bresnitz laut Vorwort „das Laster in seiner ganzen Schwärze darthun;
weil leider“ — wie er ebenda mit Nachdruck behauptete — „dies schändliche
Laster häufig begangen wird.“ Zitiert sei an dieser Stelle die Lehre der Fabel mit
den erklärenden Worten der Schlange:

In meinem Thun und Lassen

Befolg’ ich bloß,

Was manche Menschenklassen —

Der Schwärzertroß —

An ihren eignen Brüdern üben.

Was ich mit meinem tödtlichen Gegeifer,
Thun sie mit ihrem gift’gen Freveleifer.

Von keinem Nutzen angetrieben,
Ermorden sie den guten Ruf

Des friedlich-stillen Nachsten,

Und denken wenig an den Höchsten,

Der sie zur Menschenliebe schuf.

Sie haben keinen anderen Genuß,

Als bloß nur des Verschwärzeten Verdruß.
Kann ich entfernte Glieder auch vergiften,
So kann der schwarze Höllensohn —
Verleumder, in Entfernung schon,

Das martervollste Unheil stiften.

Die katholischen Marienlieder aus Ofen trennen nicht nur die religiöse
Motivation und das lyrische Genre von dem mit dramatischer Rollenverteilung
und Spannung vorgetragenen biblischen Oratorium und von den rational
argumentierenden religidsen Lehrgedichten epischen Charakters, sondern
auch die volle Hingabe, das uneingeschrankte Zutrauen und die unmittelbare

98 Ebd., S. 44-48. In: Deutschsprachige Texte aus Ungarn, Bd. 1, S. 100-101.
9 Siehe das Motto über der Fabel, ebd.

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