8. DEUTSCHSPRACHIGE RELIGIÖSE DICHTUNG IN DER PEST-OFENER REGION UM 1800
Rösler-Gedicht — wie die ganze Ungarnthematik der ungarndeutschen Dichter —
die unzertrennliche weltanschauliche Verbundenheit mit der zeitgenössischen
ungarischen Literatur und ihren besten Vertretern verdeutlichte.
8. DEUTSCHSPRACHIGE RELIGIÖSE DICHTUNG IN
DER PEST-OFENER REGION UM 1800
Von den religidsen Gedichten hebe ich hier stellvertretend fiir alle anderen das
evangelische Oratorium von Ludwig Schedius, die jiidischen Lehrgedichte von
Markus Bresnitz und die anonymen Ofner katholischen Marienlieder hervor,
um mit diesen zu veranschaulichen, wie unterschiedlich variabel sich die
Art und Weise der poetischen Aussage und Formensprache innerhalb einer
Tendenz (dieses Malder religiösen) entfalten kann. Das evangelische Oratorium
unter dem Titel Weligericht?° ist eine dramatisch vorgetragene Kette von
Bildern und Metaphern aus der Offenbarung des Johannes, die gegen das Ende
unmissverständlich in politische Reflexionen über die grausame Vergeltung
der Martinovics-Verschwörung im Jahre 1795 mündete. Mit dem aktualisierten
Text aus dem Neuen Testament geißelte der Autor den gnadenlosen Missbrauch
der Macht, womit er eigentlich Traditionen der protestantischen Dichtung des
16. Jahrhunderts folgte. (Weiteres zum Oratorium siehe im Kap. X/7.)
Die in Altofen verfassten jüdischen Lehrgedichte des Markus Bresnitz” ent¬
halten vor allem Die zehn Gebothe bzw. deren analytische moralphilosophische
Deutung in 78 leicht einprägsamen jambischen Vierzeilern. Nach dem Verfasser
sollten sie laut Vorerinnerung?” für „alle Alter geeignet seyn“. Die Poesie sei dabei
Mittel zum Zweck gewesen, sie sollte „das Tugendgefühl ermuntern“. Darum
sollten nach ihm auch die „heiligen unverletzlichen und für alle vernünftigen
Religionsmeinungen geltenden Gesetze in gefälliger Gestalt der Verse zu
geben“ sein. Denn — wie er ebenda schrieb — „besonders werden Grundsätze
angenehmer, und fassen oft eher und fester Wurzel im Herzen des Lesers,
wenn sie im dichterischen Gewande erscheinen.“ Mit dieser Überzeugung
folgte er im Grunde genommen nahezu wörtlich den deutschen Philosophen
und Literaturtheoretiker der Frühaufklärung von Thomasius bis Gottsched
»® Schedius, Johann Ludwig: Fragment aus einem Oratorium: Das Weltgericht. In: Musen¬
Almanach von und für Ungern auf das Jahr 1804, S. 25-33. In: Deutschsprachige Texte aus
Ungarn, Bd. 1, S. 254-259.
Bresnitz, Markus: Die zehn Gebothe. Ein moralisches Lehrgedicht. Ofen: Kön. ung.
Universität, 1817, S. 48. In: Deutschsprachige Texte aus Ungarn, Bd. 1, S. 86-97.
°” Bresnitz, Markus: Vorerinnerung. In: B., M.: Die zehn Gebothe, S. 13-16.