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4. UNGARISCHE GESCHICHTSBILDER IN DER UNGARNDEUTSCHEN UNTERHALTUNGSLYRIK

Mit ihm sank auch der Tiirken Macht,
Denn Hunyads Volk hat kühn vollbracht
Den Sieg, den Körmends Geist begann,
Dem Bascha blieb kein einz’ger Mann.
Chor. Triumph! die Ungarn leben hoch!
Hans Körmend brach das Türkenjoch.‘®

Das historische Lied will mit allen Mitteln ein Loblied auf die Ungarn sein.
Das ganze Gedicht hindurch dröhnt im Chor der wiederholt variierte Vers:
„Es leben alle Ungarn hoch!“ Diese Art Vergegenwärtigung der historischen
Heldentaten dient — genauso wie etwas später auch in der ungarischen
historischen Epik — eindeutig der Vertiefung des nationalen Bewusstseins.

Durch Gattung und historische Stoffwahl lehnt sich Johann Karl Unger an
die zeitgenössische und damals besonders moderne historische romantische
Ballade an, wie sie um 1808 in der deutschen Literatur bereits vertreten
wurde, obgleich in der Erzählweise des Zipserdeutschen manchmal auch der
ältere (in der deutschen Literatur in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts
verbreitete) Bänkelsängerton‘ mitschwingt. Daran wird man besonders in
dem Chorgesang an den Strophenenden erinnert, wo die poetische Vergegen¬
wärtigung des Erzählten durch den Zwischenruf des Erzählers immer wieder
plötzlich einschneidend unterbrochen wird. Dies ist umso auffallender, wenn
dabei manche durch Paarreime fest miteinander verankerte Verse stilistisch¬
strukturell auseinandergerissen werden, wie z. B. die folgenden:

Es leben alle Ungarn hoch!
Was lehrt die Sage weiter noch?

Trotz solcher Stilbrüche in der modernen Ballade leistet der Dichter wichtige
Vorarbeiten für die ungarische Literaturgeschichte, bedenkt man, dass
sich diese Art der historischen Ballade ungarisch erst in den ausgehenden
zwanziger Jahren in Ungarn verbreitet und in den dreißiger Jahren dank
zunehmender Leserinteressen in Mode kommt.”

Das poetische Niveau von historischen Gedichten dieser Art entspricht
freilich vor allem Unterhaltungserwartungen des zeitgenössischen Publikums.
Ihre kulturelle Bedeutung ist dagegen umso größer. Sie sind nämlich
kulturhistorische Zeugnisse des lebendigen Kreislaufs im Rezeptionsgefüge

65 Ebd., S. 286.

66 Vgl. dazu u. a. Gleims „Marianne“ (1756), J. F. Löwens „Hanns Robert“ (1769) und ,,Landri
und Kunigunde“ (1769), Höltys „Adelstan und Röschen“ (1774) sowie um und nach 1800 die
unzähligen Moritaten auf fliegenden Blättern.

67 "Vgl. dazu Tarnói, Läszlö: Die Uhland-Rezeption in Ungarn. In: Lenau-Almanach, 1976/1978.
Eßlinger Vorträge 1977. Wien: Braumüller Verlag, 1978, S. 47-58.

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