3. EIN DEUTSCHER HYMNUS AN PANNONIA
der Vergangenheit und der Gegenwart außer ihm (bzw. seinem „Geschlecht“)
erhielt von dem Autor so hohe Prädikate wie z. B. das aus dem deutschen
Sturm und Drang entlehnte Goethewort „göttergleich“.?°
Ärpäds Taten bestanden zum erheblichen Teil aus heroischen Kämpfen.
Diese hatten aber auch menschliche Leiden zur Folge.” Der königliche Palast
des Matthias habe dagegen ausschließlich Harmonie durch Kunst, Wissen
und Frieden in alle Himmelsrichtungen des Landes ausgestrahlt.
Den Gegenpol zu Ärpäd bilden seine besiegten Feinde; auf diese Weise geht
es hiermit vor allem um eine horizontale, epocheninterne Antithese. Grubers
Ärpäd und dessen Krieger seien natürliche Menschen, bewunderungswürdige
Gestalten einer uralten Zeit gewesen, in der sie lebten und wirkten. Siekonnten
aber für den ungarndeutschen Dichter bei weitem nicht in dem Maße als
historische Vorbildfiguren gelten,°® wie dies in den scharf umrissenen Anti¬
thesen von Vergangenem und Gegenwärtigem in der ungarischen Lyrik der
ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts so selbstverständlich war.
Im ungarndeutschen Hymnus konstituiert sich der Gegensatz nur um den
König Matthias vertikal, epochenübergreifend und erlangt vor allem durch ihn
echte historische Dimensionen: Die literaturhistorisch typische romantische
Antithese von ruhmreicher Vergangenheit und dekadenter Gegenwart
entsteht in Grubers Gedicht gemäß seinen aufgeklärten Vorstellungen von
der Allmacht des Wissens in der Gegenüberstellung der „goldenen Zeiten“
des Humanistenkönigs und des Verfalls jener glänzenden Epoche.
Der einschneidende Stimmungswechsel, die Art mit dem effektvollen
Helldunkel der Bilder in Grubers Gedicht ist allerdings bereits ein form¬
typologischer Vorbote der romantischen Metaphorik mancher später
entstandenen ungarischen Kölcsey- und Vörösmartygedichte. Die hellen
Partien am Ende der panegyrischen Lobrede auf Matthias Corvinus —
dargestellt in seinem Visegräder Prunkschloss - lauten folgendermaßen:
[...] Corvinus!
Fürst des glücklichen Volks, des hohen Wissens Verbreiter!
Von den Göttern gesandt, von Themis zum Liebling erkoren.
Kamen die goldenen Zeiten durch dich und nicht vor Äonen,
Wie der Grieche geglaubt, auf trügende Märchen vertrauend. — —
36 Gruber, Carl Anton von: Hunyady’s göttergleiches Geschlecht. In: Hymnus an Pannonia,
S. 26 u. Deutschsprachige Texte aus Ungarn, Bd. 1, S. 125. Dazu die Grubersche Fußnote
Nr. 12: „Matthias Corvinus war aus dem Geschlechte des berühmten Hunyady.“ Ebd., S. 44.
u. 130. Den ersten Beleg für das Wort „göttergleich“ siehe 1772 in „Des Wandrers Sturmlied“.
” Vgl. hierzu die Bredetzky-Ode.
38 Die Vorbildfunktion von Ärpäd und den landnehmenden Magyaren schränkte sich in
Grubers Dichtung ähnlich wie in der von Bredetzky im Grunde genommen auf ihren
natürlichen Charakter ein.