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II. DEUTSCHSPRACHIGES LITERARISCHES LEBEN IN OFEN UND PEST UM 1800

Publikationen meistens schon nach den ersten Anfángen des literarischen
Lebens entstehen und auf dem öffentlichen Medienmarkt ausgetragen
werden."

Freilich kam dabei im Zeitalter der Aufklárung (in Deutschland bis um
das Ende des 18. Jahrhunderts, im Königreich bis um das zweite Drittel
des 19. Jahrhunderts) neben den Interessen an Unterhaltung und/oder für
poetisches Niveau bzw. für unterschiedliche Vorbilder, Stiltendenzen und
Modetrends vor allem dem recht allgemeinen Bildungs- und Erziehungswillen
(d. h. bilden und gebildet werden wollen) eine eminente Bedeutung zu. In den
Vormárzjahren der beiden Lánder waren dagegen die Leser- und Autoren¬
interessen, die verschiedenen Herausgebervorhaben bzw. öffentliche Ausein¬
andersetzungen außer solchen und ähnlichen Beweggründen meistens in
hohem Maße auch politisch motiviert.

2. LITERARISCHES LEBEN UM 1800 — BEGRÜNDETE (?) ZWEIFEL

Am 18. August 1798, am zweiten Tag der Donauschifffahrt von Wien nach
Pest-Ofen zog Ernst Moritz Arndt schon aus seinen ersten Eindrücken im
Königreich über das Angebot der Buchhändler und des Sommertheaters in
Pressburg folgende resignierte Bilanz: „Man sucht hier ächtes Litteraturleben
vergebens, welches ohne Freiheit nirgends ist.“ Diese seine entschiedene
Aussage hat nachher auch der fünftägige Aufenthalt in Pest und Ofen mit
mehreren Theaterbesuchen und regem Verkehr in Kreisen der ortsansässigen
Elite nicht im Geringsten verunsichert. Übereinstimmend damit behauptete
Istvan Nemeskürty vor anderthalb Jahrzehnten in seiner Literaturgeschichte,
der Kaiser habe im Jahre 1795 die Literatur — d.h. das literarische Leben - in
Ungarn regelrecht enthauptet, wobei er seine Argumentation mit den Worten
schloss: „Finsternis trat an die Stelle des Lichtes. Es herrscht[e] die Königin
der Nacht.“

* Man denke dabei an den Literaturstreit der Professoren in Zürich und Leipzig und ihrer

Anhänger um 1740, der mit nachhaltiger Wirkung zur Bildung deutscher Schriftsteller
und Leser beigetragen hat. Das deutschsprachige Ungarn betreffend wurden erst um 1800
manche Pamphlete und Meinungsverschiedenheiten der Öffentlichkeit bekannt gegeben;
siehe dazu Debatten. In: Deutschsprachige Texte aus Ungarn, Bd. 3. Teil IL, S. 159-205. Um
1830 erhielten die literarischen Debatten in Ungarn nationalpolitische Akzente. (Siehe dazu
Kapitelteil VI/3.)

Arndt, Ernst Moritz: Erinnerungen an Ungern. Ein kleines Anhängsel. In: Reisen durch
einen Theil Teutschlands, Ungarns, Italiens und Frankreichs in den Jahren 1798 u. 1799. 1.
Theil. 2. verb. u. vermehrte Aufl. Leipzig: Heinrich Graff, 1804, S. 295. In: Deutschsprachige
Texte aus Ungarn, Bd. 3, S. 241.

Nemeskiirty, Istvan: A magyar irodalom térténete [Die Geschichte der ungarischen
Literatur]. Bd. 1. Budapest: Akadémiai Kiadó, 1993, S. 376.

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