PROTESTANTISCHE GELEHRTE UND DIE VERMITTLUNG MODERNER OKONOMIEKONZEPTE...
Das letzte Jahrzehnt des Jahrhunderts brachte nunmehr auch in Ungarn
mit Hinblick auf die Rezeption und Vermittlung von ökonomischen und
agrarwirtschaftlichen Kenntnissen eine wesentliche Veränderung. Im Hin¬
tergrund dieses Wandels konnte auf keinen Fall die mittlerweile über lange
Jahre in Kriege und bewaffnete Konflikte verwickelte zentralistische Regie¬
rung der Habsburger vermutet werden, obschon die Behörden von Zeit zu
Zeit tatsächlich kampagnenartig den Kenntniszugang mittels der Verbreitung
von Wissensmaterialien unterstützten — es wurden z. B. kleinere Pamphlets
oder simple „Anweisungen“ zu anbautechnischen Themen in den innerhalb
des Königreichs Ungarn gebräuchlichen Sprachen veröffentlicht. Letztendlich
war es aber die Gründung einer unikalen Institution, die das Fundament für
die Fachausbildung schuf und der Vermittlung moderner agrarwirtschaftli¬
cher Prinzipien verbunden war sowie dazu beitrug, dass ein entscheidender
Schritt in Richtung des breiteren Rezeptionsumfelds und der modernen Wis¬
senszirkulation unternommen werden konnte. Aus diesem Grund verdient es
unsere besondere Beachtung, dass es an dem1797 von Graf György Festetics
(1755-1819) in Keszthely gegründeten Georgikon? in den ersten zwei Jahrzehn¬
ten des Bestehens dieser höheren landwirtschaftlichen Schulinstitution drei
bedeutende Lehrerpersönlichkeiten gab, die jeweils von einem mehrjährigen
Studienaufenthalt an westeuropäischen protestantischen Universitäten heim¬
kehrend eine prägende Rolle spielten. Obwohl sie ein Studium der "Theologie
absolviert hatten, machten sie sich nach ihrer Heimkehr nach Ungarn in erster
Linie als Verfasser von agrarischen Werken, praxisorientierte Fachgelehrte,
Professoren der landwirtschaftlichen Akademie von Keszthely, somit als Be¬
dienstete von György Festetics einen Namen.
Letztendlich war es das Georgikon, das erstmals in Ungarn den Versuch
unternahm eine Umstrukturierung der traditionellen — auf den Ackerbau in
Monokulturen, vorwiegend Getreidepflanzen, beharrenden - Anbaumethoden
durchzuführen, und zwar entlang rationellen Betriebswirtschaftskonzepten
institutionelle Geographie, europäische Netzwerke. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht,
2008, S. 23-46. Zur Immatrikulation der ungarnländischen Studenten: Selle, Götz von (Hgg):
Die Matrikel der Georg August Universität zu Göttingen 1734-1837. Hildesheim-Leipzig:
August Lax, 1937. Über die Rolle der Religion und Protestantischen Aufklärung: Kuhn, Thomas
K.: Religion und neuzeitliche Gesellschaft. Studien zum sozialen und diakonischen Handeln in
Pietismus, Aufklärung und Erwckungsbewegung. Tübingen: Mohr Siebeck, 2003.
3 Deininger, Imre (Hgg.): A keszthelyi M. Kir. Gazdasági Tanintézet (1865-1885) Évkönyve az itt
fennálló Georgicon (1797-1848) rövid történeti vázlatával. Keszthely: Keszthelyi Magyar Királyi
Gazdasági Tanintézet, 1885.; Kurucz, György: Advanced Farming and Professional Training: Ihe
First Hungarian College of Farming, 1797-1848. In: Vivier, Nadine (Hgg.): The State and Rural
Societies. Policy and Education in Europe 1750-2000. Rural History in Europe 4. Turnhout: Bre¬
pols, 2008, S. 195-214.