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ALEXANDER BLANKENAGEL

zusammenhängen, daß sie nicht über die Aussetzung von Rechtsverordnungen
inter omnes entscheiden.

Auch die Bilanz des vorläufigen Rechtsschutzes beim BVerfG ist für potentielle
Beschwerdeführer entmutigend.°° Die Anträge bzw. Verfassungsbeschwerden
richteten sich in der Regel gegen Corona-Maßnahmen; es gab aber auch Anträge,
die sich gegen deren Lockerung richteten. Die wiederum entmutigende Bilanz
zeigt bei 21 ausgewerteten Beschlüssen drei unterschiedliche Entscheidungstypen.
Zum Teil war die zugrundeliegende Verfassungsbeschwerde in der Sache
offenkundig aussichtslos: Das BVerfG hat dann direkt die Verfassungsbeschwerde
zurückgewiesen und in der Konsequenz auch den Erlaß der einstweiligen
Anordnung.“ Bei der zweiten Gruppe von Entscheidungen hatte der Antragsteller
den Rechtsweg oder andere Rechtsschutzmöglichkeiten nicht ausgeschöpft:
Das BVerfG hat dann wegen des Grundsatzes der Subsidiarität den Erlaß einer
einstweiligen Anordnung und auch die Verfassungsbeschwerde abgelehnt.“
Schließlich gibt es die Fälle, wo ein Erfolg der Verfassungsbeschwerde
möglich erschien: Hier hat das BVerfG die bei der einstweiligen Anordnung
übliche Abwägung der Schwere der Grundrechtsverletzung bei Nichterlaß der
einstweiligen Anordnung bzw. der Schäden für das Gemeinwohl bei Erlaß einer
einstweiligen Anordnung, aber fehlender Grundrechtsverletzung vorgenommen;
auch hier wurde der Erlaß der einstweiligen Anordnung regelmäßig abgelehnt.”

Schließlich hat der verwaltungsgerichtliche und verfassungsgerichtliche
einstweilige Rechtsschutz auf das Hauptsacheverfahren verwiesen und
so seine Zahnlosigkeit demonstriert: Empirisch gesehen wird es bei den
Corona-Maßnahmen so gut wie nie zum Hauptsacheverfahren kommen. Die
Verwaltungsgerichte müßten daher die Erfolgsaussichten der Hauptsache
besonders intensiv prüfen: Sie erwähnen diese Pflicht, prüfen aber mit normaler
Intensität.*° U. Volkmann hat in seinem Blog „Der Ausnahmezustand“ im März
2020 prognostiziert, daß kein Verwaltungs- oder auch Verfassungsgericht es
riskieren wird, der Regierung im Kampf gegen die als existenziell empfundene

® H. Zuck und R. Zuck zählen in der Zeit vom 19. 3. 2020 bis 11. 6. 2020 36 Kammerent¬
scheidungen, von denen nur 3 den Anträgen stattgaben, diess., Rüdiger Zuck - Holger Zuck,
Die Rechtsprechung des BVerfG zu den Corona-Fällen, Neue Juristische Wochenschrift 73
(2020), 2302-2303.

10 Alsein Beispiel s. Beschluß vom 29. August 2020 - 1 BvR 2039/20 Versammlungsrecht.

“U Als ein Beispiel s. Beschluß vom 18. April 2020 - 1 BvR 829/20 Verbot, die Wohnung zu
verlassen.

2 S,etwa1BvQ 42/20 vom 1. 5.2020: Kontaktverbote; 1 BvR 1187/20 vom 7. 7. 2020: Kontakt¬
beschränkung, Kontaktnachverfolgung und Maskenpflicht.

# VGH München Beschluß vom 7.7.2020 - 20 NE 20.1497, BeckRS 2020, 16177, LS 2 sowie
Rz. 18; ebenso OVG Bremen Urteil vom 9.11.2020 - 1 B 339/20, BeckRS 2020, 30294, Rz.
11; VGH München Beschluß vom 10.6.2020 - 20 NE 20.1320, BeckRS 2020, 12010, Rz. 21.

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