Oldal 264 [264]
OCR
ALEXANDER BLANKENAGEL oder Schadensverhinderung den geringstmöglichen Eingriff in das jeweilige Grundrecht darstellen. Systematisch spiegelt die Erforderlichkeit die Aktualität und Schwere der Gefahr: Je weniger aktuell und je geringfügiger die Gefahr ist, desto strenger ist der Maßstab der Erforderlichkeit. Den vermeintlich strengen Maßstab der Erforderlichkeit relativieren Rechtsprechung und Literatur allerdings durch einen der Verwaltung zugestandenen gerichtlich nicht überprüfbaren Entscheidungsspielraum, eine Einschätzungsprärogative.'? Ist die Gefahr gering, so ist der Maßstab der Erforderlichkeit streng. Sie ist gering dort, wo die Gebäude sehr groß sind und daher durch zahlenmäßige Begrenzung des Zugangs zum Gebäude und durch entsprechende Vorkehrungen im Gebäude verhindert werden kann, daß sich Menschen in einem Abstand von weniger als zwei Metern begegnen. Je größer die Räumlichkeiten und je fokussierter die Regelung des Zugangs und des dort Verweilens, desto geringer die Gefahr, zumal wenn auch noch Masken getragen werden. Große Gebäude haben Museen, Ausstellungen, Konzertsäle und Kinos; sie trafen im Sommer 2020, während der Phase der Öffnung, unter Verzicht auf möglichen Umsatz auch Vorkehrungen zur Begrenzung des Zugangs, ebenso wie, bei entsprechender Größe der Räumlichkeiten, auch Restaurants. Diese Maßnahmen verhinderten dann bei gutem Besuch Ansteckungen, wie die damaligen niedrigen Ansteckungszahlen zeigen. (Im übrigen hätten man Infektionen wegen der überall erforderlichen Registrierung der Besucher auch ohne Probleme nachverfolgen können) Gleichwohl sind die Museen, Konzertsäle, Kinos und alle, auch die ausreichend geräumigen Restaurants, im Spätherbst geschlossen worden. Die Bund-LänderKonferenz, die VO-Geber der Länder haben sich über diese eine geringe Gefahr belegenden Tatsachen und die Möglichkeit der Nachverfolgung der Ansteckungen hinweggesetzt. Die Rechtsprechung spiegelt eher die jeweiligen Infektionszahlen als die Rechtslage wider. Im Frühherbst des letzten Jahres, als die Infektionbszahlen noch gering waren, wurden einige Maßnahmen aufgehoben, so etwa, wie schon erwähnt, ein Beherbergungsverbot durch das OVG Lüneburg.'? Mit steigenden Infektionszahlen sank aber die Kontrollschärfe der Rechtsprechung. In den Fällen, in denen schon die Gefahr zweifelhaft bzw. gering war, erfolgte die Prüfung nach dem Motto „Augen zu und durch“. Einer mühsamen Feststellung einer Gefahr — die Losung lautete: Jede Begegnung von zwei Menschen ist gefährlich - folgt dann eine oft mühsame Bejahung der Geeignetheit und sehr mühsame Bejahung der 12 OVG Berlin-Brandenburg 16.10.2020, Beschluß vom 16. 10. 2020 - OVG 11 S 88/20, BeckRS 2020, 27820, RZ. 23: „tatsächlicher Einschätzungsspielraum“, unter Hinweis auf das BVerfG vom 13. Mai 2020 - 1 BvR 1021/20, Rz. 10; OVG Magdeburg, Beschluß v. 24.11.2020 -3R 220/20, BeckRS 2020, 32485, Rz. 35: Weiter Gestaltungsspielraum/offensichtliche Verstöße. 13 OVG Lüneburg, Beschluß vom 15.10.2020 — 13 MN 371/20, BeckRS 2020, 26667, Rz. 57. + 262 +
