LÁSZLÓ TARNÓI: SCHNITTPUNKTE. STUDIEN ZUR GERMANISTIK UND HUNGAROLOGIE
[1] Spude dich, Kronos!
Fort den rasselnden Trott!
Bergab gleitet der Weg;
Ekles Schwindeln zögert
Mir vor die Stirne dein Zaudern
Frisch, holpert es gleich,
Über Stock und Steine den Trott
Rasch ins Leben hinein!
Hier allerdings mit dem plötzlichen Schlusswort dieser Strophe, ,,Rasch ins
Leben hinein“, werden freilich die Verflechtungen der poetischen Aussage er¬
neut unmissverstandlich deutlich.
Beim Lesen der Worte „Ekles Schwindeln zögert“ fällt mir allerdings neben¬
bei ein, wie sehr Goethe zu jener Zeit, in seinen jungen Jahren vom Schwind¬
ligwerden geplagt war und im Zusammenhang damit ein anderer, äußerst
schwieriger Weg, den er in den ersten Apriltagen 1770 im Turm des Stra߬
burger Münsters Treppe für Treppe aufwärts leistete, um über diese seine
Schwäche Herr zu werden.’
Man achte anschließend auch auf den letzten Vers der langsamen „berg¬
auf“-Strophe:
[2] Nun schon wieder
Den eratmenden Schritt
Mühsam Berg hinauf!
Auf denn, nicht träge denn,
[und nun letzter Vers ebenda;]
Strebend und hoffend hinan.
Der Vers „Strebend und hoffend hinan“ schließt sich zwar organisch an die
Bilder des augenblicklich bis zum Verzweifeln langsamen Vorankommens auf
einer steilen Wegstrecke, doch könnte es darüber hinaus — so glaub ich —
gleichzeitig auch den zwischen 1770/71 und 1832 sechs Jahrzehnte hindurch
währenden Lebensweg und dessen Spiegelungen im ganzen CEuvre des Dich¬
ters etikettieren.
Als dann der höchste Punkt aufdem Weg zwischen Darmstadt und Frank¬
furt mit Müh und Not erreicht worden ist, verflechten sich die beiden Wege,
der der kurzen Fahrt und der eines ganzen Lebens mit Vergangenheit und
5 Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. 9. Buch. In: Goe¬
the, Johann Wolfgang von: Poetische Werke. Autobiographische Schriften. Bd. I, Berlin /
Weimar: Aufbau-Verlag, 1971, S. 404 f. (= Berliner Ausgabe, Bd. 13)