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WEGE Ein Essay" Was mag eigentlich ein Weg sein? Was soll ich darunter verstehen? Ich blattere in meinen Wörterbüchern und finde Leitwörter zu entsprechenden Synonymreihen wie Strecke, Straße, Bahn, Richtung, Methode, Verfahren - jeweils mit einer ganzen Reihe von sinnverwandten Vokabeln. Ich finde dazu auch Definitionen wie u. a. „festgetretene oder leicht befestigte Bahn zum Gehen“ oder auch „Strecke auf der man geht“ und viele ähnliche -— manche unter Umständen auch in übertragenem Sinne. Sei der Weg demnach in engerem oder gar abstrakterem Sinne des Wortes nichts Weiteres als irgendeine Strecke mit Anfang, Ende und Richtungen? Ist z. B. ein Weg ins Freie, in die Heimat oder zu meinen Angehörigen in der Ferne nur als eine Art Straße zu begreifen? Bezieht er sich nicht vielmehr auf meine jeweilige Fortbewegung? Ist er dementsprechend in subjektiver Sicht — außer der man ja kaum eine andere haben mag - sinngemäß nicht gleichzeitig, ja sogar vor allem auch Gang, Wanderung, Ritt, Reise, Fahrt oder Flug irgendwohin, möglicher Weise auch bloß irgendwo? Lassen Sie mich, Ungarn, die deutsche Sprache bewundern, wenn ich Ihnen hierzu schließlich noch die folgende rhetorische Frage stelle: Ist wohl im Deutschen der etymologische Zusammenhang zwischen Weg und Bewegung lediglich als bloßer Zufall zu verstehen, wobei Letzteres von seinem Präfix ‚Be-‘, und Suffix ‚-ung‘ gelöst sogar der Form nach mit dem ersten — mag es auch ‚Weg‘ oder ‚weg‘ heißen - voll übereinstimmt? Die Wege — mögen diese von Menschen, Planeten oder gar Ameisen geleistet sein — sind nach meinem Verständnis nicht nur Bahnen, Straßen, Furten oder Schneisen, gerade, kreisförmige oder Zick-Zack-Linien, sondern stets auch Bewegungen im Raum. Ja nicht einmal nur dies, da ihre Bewältigung in dieser unserer Welt stets auch Minuten, Stunden, Tage, eventuell ein ganzes Menschenalter oder gar Äonen hindurch dauert, sind sie immer auch Bewegungen in der Zeit. Das hieße innerhalb unserer diesseitigen Koordinaten eigentlich mit einem Wort Leben. — Also alles. - Zumindest alles, was sich ! Der Lehrstuhl für deutsche Sprache und Literatur der Käroli Gäspär Universität nahm sich 2015 vor, eine internationale Tagung unter dem Leitwort „Wege“ zu veranstalten. Vorliegender Text war hierzu am 14. 10. 2016 in der Aula der Philosophischen Fakultät mein Konferenzbeitrag. Als eine Art Abschiedsvorlesung soll er nun an dieser Stelle nicht nur meine Jahre an der Universität der Reformierten Kirche in Ungarn, sondern auch die beiden Bände meiner Schnittpunkte abrunden. + 301 +