LÁSZLÓ TARNÓI: SCHNITTPUNKTE. STUDIEN ZUR GERMANISTIK UND HUNGAROLOGIE
Kazinczy? und Mihály Vörösmarty" scheinbar nichts zu berichten." Die
resignierten Worte im Brief an Letzteren illustrieren genau das allgemeine
Desinteresse für die unzulánglichen deutschen Nachdichtungen der ungari¬
schen Lyrik:
Auf die Frage, ob man sich fiir unsere Sprache interessiere, kann ich nur mit einer
recht traurigen Antwort dienen. Man denkt allenthalben, dass unsere Sprache etwa
die arme Tochter der slowakischen Mutter sei —- und damit gibt man sich auch
zufrieden. Goethe scheint sich keine Zeit genommen zu haben, das Handbuch
durchzublättern, auch Tieck hat wenigstens während meines Aufenthaltes in Dres¬
den die Blumenlese noch nicht gelesen.
Eine ganz andere Art von Begegnung war die von Goethe und dem abgedank¬
ten ungarischen Infanterie-Offizier Karl Franz von Akäts (1776-1845) am 21.
Juli 1803,” als der Ungar im Weimarer Theater unter Goethes Leitung seine
einmalige Schauspielerkarriere mit dem deutschen Künstlernamen Franz
Grüner begann und u. a. in der Weimarer Erstaufführung der Jungfrau von
Orleans den schwarzen Ritter und wenige Monate später in der Uraufführung
des Wilhelm Tell die Rolle des Herrmann Geßler spielte. Ihre regelmäßige
Zusammenarbeit war beiderseitig äußerst fruchtbar: Einerseits machte sich
Akats-Griiner in der deutschen Theatergeschichte der Goethezeit in Weimar,
Miinchen, Wien, Darmstadt und Frankfurt am Main als klassischer Hofschau¬
spieler und im Laufe der Jahre auch als ein außerordentlich begabter Regisseur
und TIheaterdirektor einen exzellenten Namen und andererseits entstanden
auch Goethes heute noch beachtenswerte Regeln für Schauspieler” dank der
sorgfältig durchdachten theoretischen Thesen und praktischen Übungen wäh¬
rend der leitenden Zusammenarbeit mit seinen Schauspielerkandidaten, unter
ihnen vor allem mit dem Ungarn Franz Grüner und dem deutschen Pius Ale¬
xander Wolffin der zweiten Jahreshälfte von 1803.
Ferenc Toldy an Ferenc Kazinczy, Berlin, den 8. 12 1829. In: Kazinczy Ferenz levelezése [Brief¬
wechsel v. F. K.] Bd. 21, Budapest: Magyar Tudomänyos Akadémia, 1911, S. 157-161.
Ferenc Toldy an Mihály Vörösmarty, Berlin, den 12. 11.1829.
Über Toldys Besuch bei Goethe siehe mehr in Tarnöi, Läszlö: „Er war in diesem Zeitalter der
König der Seelen.“ Goethes Begegnungen mit Reisenden aus Ungarn. Budapester Rundschau,
Jg. 16, Nr. 35 (30. 8. 1982), S. 10.
Thienemann, Theodor: Goethes ungarischer Schüler. In: Ungarische Rundschau, 1916, Jg. 4,
H.3 u. 4, S. 814-847, hier S. 832.
Goethe, Johann Wolfgang: Regeln für Schauspieler. 1803. In: Goethe: Kunsttheoretische
Schriften und Übersetzungen. Schriften zur Literatur. Bd. 1, Berlin / Weimar: Aufbau-Verlag,
1970, S. 82-110. (= Goethe: Berliner Ausgabe, Bd. 17)