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BEGEGNUNGEN MIT DER DEUTSCHEN LITERATUR

gleichzeitige Verbreitung der aktuellsten Informationen über Deutschland und
seine Literatur im Königreich Ungarn.

Auch die zahlreichen ungarischen Mitglieder der von Goethe in den mitt¬
neunziger Jahren mit besonderem Interesse geförderten Societät für die ge¬
samte Mineralogie zu Jena” haben in hohem Maße zur zeitgenössischen
deutsch-ungarischen Kommunikation beigetragen. Es ist zum Beispiel bekannt,
dass der 1796-1798 in Jena studierende ungarndeutsche Samuel Bredetzky,
Mitbegründer der Gesellschaft und Sekretär der ungarischen Sektion, von
Goethe in Weimar des Öfteren empfangen wurde, gleichzeitig aber auch zu
Herder und Wieland und in Jena auch zu Schiller persönliche Kontakte hatte.”

Goethes anerkennende Worte, die er 1820 an den vor mehreren Jahren in
Jena habilitierten Jözsef Gödör, Gymnasialdirektor in Györ (Raab), rückblickend
auf die vergangenen drei Jahrzehnte schrieb, beziehen sich eigentlich auf alle
aus den deutschen Universitäten nach Studienabschluss heimgekehrten Un¬
garn: „Sowohl Sie als Ihre Landsleute wußten sich, bey dem hiesiegen Aufent¬
halte, die Achtung aller Guten zu gewinnen und hinterlassen den besten Nach¬
ruhm. Deswegen kann uns angenehm seyn, wenn Sie sich in der Ferne auch
zu uns bekennen [...]“.?°

3.

Von den jeweiligen deutsch-ungarischen interkulturellen Kontakten profitier¬
ten freilich die Ungarn in der Goethezeit schon wegen der Kenntnis der deut¬
schen Sprache unvergleichbar mehr als die Deutschen. Solang die Ungarn
damals die deutsche Belletristik in der originalen Sprache erlebten, waren die
zeitgenössischen lyrischen Spitzenleistungen der Ungarn (u. a. von Mihaly
Csokonai Vitez, Däniel Berzsenyi und später von Mihäly Vörösmarty), wenn
überhaupt, so lediglich in äußerst dürftigen Übersetzungen den deutschen
Lesern zugänglich. Es ist auch selbstverständlich: Ihre Verfasser waren ent¬
weder der deutschen oder der ungarischen Sprache kaum mächtig und in
keinem Fall waren sie deutsche Dichter, deren Nachdichtung eines ungarischen
Sprachkunstwerkes auch nur annähernd hätte gerecht werden können. So
konnten die vielen analytischen Besprechungen der ungarndeutschen

” Siehe darüber detaillierte Forschungsergebnisse in der Studie v. Szabö, János: Ungarische
Studenten und Gelehrte unter Goethes Präsidentschaft. Zur Geschichte der „Societät für die
gesamte Mineralogie zu Jena“. In: Rezeption der deutschen Literatur in Ungarn 1800-1850.
2. Teil: Zeitschriften und Tendenzen. Budapest: Eötvös Univ., 1987, S. 137-158. (= Budapester
Beiträge zur Germanistik, Bd. 18)

2% Nach der Jahrhundertwende machte er sich im Königreich mit seinen topographischen Bei¬
trägen und seiner Lyrik bekannt. Siehe Schnittpunkte, Bd. 1, S. 30, 60-64 u. 192.

” Goethes Briefan Joseph v. Gödör, Jena, 21. Juni 1820. In: Goethes Werke. Weimarer Ausgabe,
IV. Abtheilung, Bd. 33. Weimar: Bohlaus Nachfolger, 1905, Nr. 52, S. 73.

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